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Start der Rohingya-Rückführung Heimat voller Feindseligkeit und Hass

Bangladesch will dieser Tage entgegen UNO-Warnungen und Protesten in den Flüchtlingscamps erste Rohingya-Flüchtlinge nach Burma zurückschicken. Ein seltener Einblick in die abgeschottete Heimatregion der grössten staatenlosen Volksgruppe.

Vom Küstendorf Chein Khar Li ist nichts mehr übrig. 37 Menschen sind tot. Alle 671 Häuser sind verbrannt. Übrig sind nur noch die Grundrisse zwischen verkohlten Baumstrünken. «Sie kamen ins Dorf mit Gewehren, Raketenwerfern und Benzinkanistern», erzählt der 19-jährige Imran in einem der Flüchtlingscamps in Bangladesch.

Grundrisse der Häusesr neben verkohlten Baumstümpfen
Legende: Alle 671 Häuser des Küstendorfs Chein Khar Li hat die Armee bei der «Säuberung» niedergebrannt. Gegen 400 Dörfer erflitten im Rakhine-Staat ein ähnliches Schicksal. SRF/Lukas Messmer

Mit seiner Schwester Hasena lebt Imran in einer Bambushütte – zusammen mit fast einer Million Rohingya. Ihre Eltern haben die «Säuberungsaktionen» des burmesischen Militärs nicht überlebt. Hasenas Mann auch nicht. «Sie haben ihn erschossen und verbrannt», sagt Hasena. Zwei Wochen habe die Flucht der Geschwister durch Wald, Felder, über Berge und Flüsse nach Bangladesch gedauert.

«Säuberungsaktionen» von Armee, Polizei und Buddhisten

Was im August 2017 in Burma geschah, ist inzwischen gut dokumentiert. Am 25. August hat die Rebellengruppe Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) im Rakhine-Staat über 20 Polizeiposten angegriffen. Die Reaktion der burmesischen Sicherheitskräfte war brutal. In «Säuberungsaktionen» sind Armee, Polizei und buddhistische Zivilisten brandschatzend durch die Dörfer gezogen. Gegen 400 Dörfer sind komplett oder teilweise abgebrannt.

Rohigya-Flüchtlinge
Legende: Zu Hunderttausenden flohen die Rohingya nach den «Säuberungen» über die Grenze nach Bangladesch. Keystone

So wie Chein Khar Li. Amnesty International erwähnt das Dorf in einem Bericht . Im September präsentierte der UNO-Menschenrechtsrat einen 444-seitigen Bericht , der die Verbrechen detailliert auflistet. In einem Dorf, Tula Toli, sollen 750 umgebracht worden sein. Es braucht viel Kraft, um sich durch die hunderte von Paragraphen mit Gräueltaten zu lesen.

Der umfangreiche UNO-Bericht bezeichnet die Situation als einen fortlaufenden Genozid und beschreibt eine systematische Kampagne, um den nördlichen Rakhine-Staat langristig von den muslimischen Rohingya zu befreien. Bei den Gräueltaten vom August 2017 sollen über 10'000 Rohingya umgekommen sein.

Die abenteuerliche offizielle Version des Genozids

Das offizielle Burma scheint sich in einer alternativen Realität zu befinden. Die Regierung unter Aung San Suu Kyi, die Armee und die lokale Regierung im Rakhine-Staat streiten die Gräueltaten von Polizei und Armee konsequent ab. Die Armee hat im letzten Jahr systematisch Indizien der Kriegsverbrechen beseitigt.

Journalisten haben eigentlich keinen Zutritt zum Rakhine-Staat und einstigen Rohingya-Dörfern wie Chein Khar Li. Genauso wenig die speziell geschaffene Kommission des UNO-Menschenrechtsrats zur Etablierung von Fakten. Dafür organisiert das burmesische Informationsministerium jeden Monat eine Pressereise. SRF ist mit dem britischen Channel 4 und dem japanischen Yomiuri Shimbun drei Tage durch Rakhine gereist.

Die interviewten Offiziellen erzählen vor Ort unisono das Gleiche: Die Rohingya seien Terroristen und hätten zuerst die Polizei angegriffen, darauf ihre Häuser selbst angezündet – um dem Militär die Schuld in die Schuhe zu schieben – und seien dann nach Bangladesch geflohen.

Nach Bangladesch, weil dort die 700'000 Rohingya-Flüchtlinge von der humanitären Hilfe komfortable Häuser und kostenlos Essen erhielten. Es ist eine Mischung aus Propaganda und völliger Negierung jeglicher faktenbasierter Argumentation von Seiten der Rohingya, Bangladesch oder der internationalen Gemeinschaft.

Bizarre Inszenierung einer alternativen Realität

Eine bizarre Inszenierung, um den ausländischen Journalisten «Die Realität zu zeigen», während tausende von Zeugenaussagen nur wenige Kilometer hinter der internationalen Grenze eine völlig andere Realität darstellen. «Es bringt nichts, internationale Medien wie Schulkinder auf eine Exkursion zu führen», sagte kürzlich auch der ehemalige burmesische Informationsminister Ye Htut zu Radio Free Asia .

Ye Hut war in den ersten Jahren nach der Öffnung Burmas im Amt und ist ein regelmässiger Kritiker der gegenwärtigen Regierung unter Aung San Suu Kyi. Nun fordert er in Rakhine freien Zugang für internationale Medien, humanitäre Helfer und die UNO.

Die Panik vor der Rückkehr

An diesen Ort sollen nun also die ersten Rohingya zurückkehren. Das haben Burma und Bangladesch zusammen mit China ausgehandelt. Es kursieren Listen mit 2200 Namen. Die meisten Rohingya in den Lagern wissen davon nichts. Viele haben panisch reagiert: Wohin sollen sie zurückkehren? Unter welchen Bedingungen? Mit welchen Rechten?

Demonstrierende Rohingya
Legende: «Nicht ohne unsere staatsbürgerlichen Rechte». Am Tag der ersten Rückführungen protestieren in einem Flüchtlingslager Hunderte Rohingya. Keystone

Viele weigern sich, ohne Garantien auf Sicherheit und ein menschenwürdiges Leben zurückzukehren. «Wir haben Burma verlassen, weil unsere Mütter und Schwestern vergewaltigt wurden», sagt der 19-jährige Imran im Flüchtlingscmap. «Wir hielten die Grausamkeiten nicht mehr aus.»

Die Details des Deals sind nicht bekannt. Die Befürchtungen sind gross, dass die Rückkehrer in Lagern in Bangladesch ein tristes Leben fristen werden und nicht in ihre Dörfer zurückkehren können – die gar nicht mehr existieren. Burma bezeichnet die Rohingya weiterhin als «Bengalis» und verweigert ihnen Bürgerrechte, Bewegungsfreiheit und Ausbildung.

«Ich will nur in mein Land zurückkehren, wenn ich Bürgerrechte als Rohingya kriege und wir dort nicht mehr verfolgt werden», sagt Student Imran in Bangladesch. Und die Verantwortlichen müssten vor den internationalen Strafgerichtshof angeklagt und bestraft werden. «In den Büchern steht, dass Bangladesch die Rohingya schon zweimal ohne Rechte nach Burma zurückgeschickt hat.»

«Saubere und schöne Nation» ohne Rohingya

Das war 1978 und 1992. Was Imran weiss, ist in der Weltöffentlichkeit kaum bekannt. Die Ausgrenzung der Rohingya im Rakhine-Staat schlug erst seit 2012 globale Wellen. Doch der Konflikt ist alt – genauso die Säuberungsaktionen des burmesischen Militärs ebenfalls.

Nach der Militär-Operation «Drachenkönig» im Jahr 1978 flohen wohl 200,000 Rohingya nach Bangladesch. Im Jahr 1992, im Zug der Militär-Operation «Saubere und schöne Nation», flohen mindestens 250,000 Rohingya nach Bangladesch. Beide Male wurden sie zurückgeschickt.

Karte
Legende: Bereits zweimal wurden die Rohingya in den letzten Jahrzehnten aus dem nördlichen Rakhine-Staat vertrieben und wieder zurückgeschickt. SRF

Die dreitägige Reise durch den nördliche Rakhine-Staat fühlt sich an wie eine Reise in die Vergangenheit. 1978 und 1992 vertrieb das Militär die Rohingya und sie kamen zurück. Beide Male hat sich in Burma die Situation nicht verändert, sondern eher noch verschlimmert. Burmas Ausgrenzungspolitik änderte sich nicht.

Die Wahrheit verliert sich im Dunst der Geschichte

Der Konflikt im Rakhine-Staat hat drei Akteure: Die ethnische Minderheit der buddhistischen Rakhine, die ethnische Minderheit der muslimischen Rohingya, und der burmesische Zentralstaat. Wer Rakhine oder Rohingya interviewt, hört oft zuerst einen minutenlangen Vortrag über die Geschichte des eigenen Volkes in Rakhine. Es sind zwei verschiedene Geschichten, die exklusiv sind und sich gegenseitig fast vollständig ausschliessen.

Es geht darum, wer zuerst da war, wer im Rakhine-Staat indigen ist. Und wie wichtig der Islam im alten Königreich von Rakhine war, das im Jahr 1784 von Burma erobert wurde – für die lokale Ethnie der Rakhine, die wie die Burmesen Buddhisten sind, bis heute ein Trauma. Seither kämpfen auch sie für mehr Selbstbestimmung im Vielvölkerstaat Burma.

«Burma», «Birma» oder «Myanmar»?

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SRF verwendet in seiner Berichterstattung über den südostasiatischen Staat die Bezeichnung Burma. Im deutschen Sprachraum war bis Ende der 80er-Jahre die Bezeichnung Birma üblich. Im Englischen hiess die ehemalige britische Kolonie Burma. Seit Juni 1989 lautet der offizielle Name Union Myanmar – in burmesischer Sprache ein Synonym für Birma.

Die von der Militärjunta beschlossene Namensänderung wurde allerdings nicht von allen Staaten angenommen. So hielten unter anderem die USA als Zeichen ihrer Missbilligung des Militärregimes am Namen Burma fest.

Viele Länder handhaben die Namensnennung heute also unterschiedlich. Sogar innerhalb einzelner Länder werden verschiedene Bezeichnungen verwendet. So benutzt etwa das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten bei seinen Reisehinweisen (EDA) den Namen Myanmar. Viele Deutschschweizer Medien benutzen jedoch den Namen Burma, so etwa die «NZZ» oder der «Tagesanzeiger» und eben auch SRF.

Mythologien und Ideologien mischen sich mit historischen Fakten. Die Wahrheit verliert sich im Dunst der Geschichte, denn historische Quellen gibt es nur beschränkt. Aber Fakt ist: Für Jahrhunderte lebten im Rakhine-Staat Buddhisten und Muslime Seite and Seite.

«Rasse» als Kriterium für Bürgerrechte

Die Rohingya sind mit der bengalischen Bevölkerung aus Bangladesch verwandt sprechen eine ähnliche Sprache. Mit der Unabhängigkeit Burmas nach dem zweiten Weltkrieg galten die Muslime in Rakhine, die sich Rohingya nannten, als Bürger von Burma. Nach der Machtübernahme von Diktator Ne Win im Jahr 1962 ging eine Zeit der Akzeptanz der Muslime in Burma zu Ende.

Die Militärregierungen definierten fortan klar, wer zu Burma gehörte, und wer nicht, hauptsächlich basierend auf Ethnie und Religion. Bis heute hat jede burmesische Identitätskarte einen Eintrag für «Religion» und «Rasse». Die Vorherrschaft im Staat fiel buddhistischen Burmesen zu. Die Rohingya hatten keinen Platz.

Buddhistische Demonstranten gegen die Rohingya
Legende: Über Jahrhunderte lebte in Burma eine buddhistische Mehrheit und eine muslimische Minderheit Seite and Seite. Heute haben sie im buddhistisch dominierten Burma keinen Platz mehr. Reuters

Ein Staatsbürgerschaftsgesetz von 1982, erlassen von der Militärregierung, definierte die Abstammung von einer von 135 «nationalen Rassen» als Vorbedingung für eine Staatsbürgerschaft. Die Rohingya waren nicht auf dieser Liste.

Die Armee als heldenhafte Beschützerin der Nation

Die öffentliche Meinung in Burma ist getränkt mit Hass auf die Rohingya. Der Begriff «Kalar» ist gang und gäbe, ein rassistisches Wort für dunkelhäutige Muslime. In den Augen einer Mehrheit in Burma sind die Rohingya illegale Einwanderer und Terroristen, die das buddhistische Burma in einen islamischen Staat verwandeln wollen.

Diese Darstellung ist alt und ist vom Sicherheitsapparat systematisch über Jahre verbreitet und propagiert worden. Mit Erfolg: Das Militär gilt heute oft nicht mehr als Feind der Demokratie, sondern als heldenhafter Verteidiger der buddhistisch-burmesischen Nation gegen eine Übernahme durch Muslime.

Soldat vor Rohingya-Flüchtlingen
Legende: Vielen Burmesen gilt die einst demokratiefeindliche Armee heute als Kämpferin gegen eine angeblich drohende Übernahme der Nation durch Islamisten. Keystone

Auch wenn zwei durchaus berechtigte Narrative über die muslimische und buddistische Geschichte von Rakhine existieren: Die Rohingya sind keine illegale Immigranten und haben sogar nach bestehenden burmesischen Gesetzen ein Anrecht auf die Staatsbürgerschaft: Das Gesetz von 1982 verspricht allen gebürtigen Burmesen dritter Generation, egal welcher Ethnie, die Staatsbürgerschaft.

Eine Lösung? – wohl unmöglich

Die Regierung unter der ehemaligen Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi kümmerte sich bisher kaum um die Krise. Mögliche Lösungen sind bekannt. Eine Kommission unter Kofi Annan hat 2017 eine Liste von Vorschlägen ausgearbeitet , die allgemein als bisher praktikabelste Lösungsansätze gelten.

Doch die Umsetzung scheint unmöglich: Das Militär kontrolliert gemäss Verfassung weiterhin das Verteidigungs-, das Innen- und das Grenzministerium. Und die lokalen Rakhine fühlen sich als doppelte Opfer: Unterdrückt durch Burmas Zentralstaat, und bedrängt durch muslimische «Immigranten» aus dem Westen – viele sind froh, dass die Rohingya weg sind.

Cox's Bazar: Patrick Rohrs Reise ins Flüchtlingscamp

Sendebezug: SRF 4 News, 06:45 Uhr

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