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«State of the Union»-Rede Biden wird zornig und laut

«State of the Union»-Reden sind oft, was die US-Medien eine «Laundry List» nennen: eine lange Liste von erreichten und künftigen Zielen. Diese «State of the Union» war keine «Laundry List». Sie war eine Wahlkampfrede, die Donald Trump direkt angriff. Und sie war eine Bekräftigungsrede, gerichtet an all jene, die an ihm, Joe Biden, zweifeln.

Angriffig

Der Einstieg zeigte, an welchem Punkt Joe Biden die USA und die Welt sieht: Biden zitierte Franklin D. Roosevelt und dessen berühmt gewordene «State of the Union»-Rede im Januar 1941, als Hitlers Truppen in Europa auf dem Vormarsch waren und Roosevelt die Amerikanerinnen und Amerikaner zu überzeugen suchte, dass die vier essenziellen Freiheiten, wie er sie sah – Redefreiheit, Religionsfreiheit, Freiheit von Not und Freiheit von Furcht – unbedingt und überall verteidigt werden müssen. «Ich wende mich an euch in einem noch nie da gewesenen Moment unserer Union», hatte sich Roosevelt damals an die Abgeordneten gerichtet. Der Roosevelts Worte zitierende Biden sieht die Welt heute erneut an einer solchen Wegscheide.

Warnend

Er wolle den Kongress aufrütteln, rief Joe Biden den versammelten Abgeordneten, Senatorinnen und geladenen Gästen zu – und meinte natürlich das amerikanische Volk vor den Bildschirmen. Ob er dieses erreicht hat, das werden Blitzumfragen schnell zeigen. Auf jeden Fall zog Biden eine direkte Linie von Putin und dessen Krieg gegen die Ukraine und der im Kongress feststeckenden Ukrainehilfe zu Donald Trump und dessen jüngsten Worten für den russischen Präsidenten, wonach er diesen «ermutigen würde, zu tun was auch immer er wolle.» Es war das erste von vielen Malen, in denen Biden Trump direkt angriff, ohne dass er dessen Namen ein einziges Mal in den Mund nahm. Er sprach immer nur von seinem «Vorgänger».

Anders

Die Rede Bidens war keine typische «State of the Union»-Rede. Biden setzte den Rahmen für den kommenden Wahlkampf und zog einen scharfen Kontrast zwischen ihm und seinem Gegner, Donald Trump. Die US-Medien bezeichneten die Rede unmittelbar nach Abschluss wahlweise als «kämpferisch», «angriffig» oder «feurig». Sie war auf jeden Fall anders, politischer auch als eine «State of the Union»-Rede normalerweise ist.

Witzelnd

Natürlich handelte auch Biden in seiner über eine Stunde langen Rede seine wirtschaftlichen Erfolge und seinen Kampf für ein offenes Amerika ab. An einer seiner verwundbarsten Stellen, der Einwanderung über die Grenze zu Mexiko, nutzte er wie schon vor einem Jahr seine Erfahrung und landete – vom Skript abweichend – Punkte gegen eine zwischenrufende Republikanerin. Und er versuchte ganz am Ende der Rede, den Diskussionen um sein Alter mit Humor zu begegnen, als er anführte, er sei in seiner Karriere immer wieder als zu jung oder zu alt bezeichnet worden.

Es schien, als würde Biden seinen angriffigen Auftritt geniessen. Und nach seiner 68-minütigen Rede schüttelte er zuerst im und danach vor dem Saal nochmals genauso lange Hände, posierte für Selfies, und gab Autogramme. Seinen Ton für den Wahlkampf hat er an diesem Abend gesetzt.

Pascal Weber

USA-Korrespondent

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Pascal Weber arbeitet seit 1999 für SRF. Als Redaktor und Produzent war er zunächst in der Sportredaktion tätig, danach bei «10vor10». Von 2010 bis 2021 war er als Korrespondent im Nahen Osten. Er lebte zuerst in Tel Aviv, dann lange Jahre in Kairo und Beirut. Nun arbeitet er für SRF in Washington.

Tagesschau, 8.3.2024, 19:30 Uhr; widb;stal

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