Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Steuerflucht nach Tunesien Warum italienische Rentner nach Nordafrika ziehen

Was für die Deutschen Mallorca ist, ist für italienische Pensionierte zunehmend Tunesien. Immer mehr Italienerinnen und Italiener zieht es nach Hammamet.

In der Küstenstadt Hammamet mit ihren rund 90'000 Einwohnerinnen und Einwohnern gibt es bereits Agenturen, die sich auf die neuen Pensionierten spezialisiert haben.

So auch Toc Toc Tunisia von Inhaberin Sarah Marturana. Die Italienerin bietet ein Rundum-sorglos-Paket.

Frau mit Brille sitzt vor Keramikbüsten.
Legende: Sarah Marturana von der Agentur Toc Toc Tunisia. SRF

Von den Formalitäten bis hin zur Wohnungssuche hilft die Agentur Italienerinnen und Italienern, sich im neuen Land niederzulassen.

«In Tunesien lebt ein Paar mit 1000, 1200 oder 1300 Euro im Monat ein sorgloses Leben. In Italien allerdings reicht dieser Betrag nicht mehr aus, um damit bis zum Monatsende zu kommen», so Marturana.

Vereinfachte Niederlassung dank Abkommen

Rund 9000 Italienerinnen und Italiener leben aktuell in Tunesien. Über 5000 von ihnen allein in Hammamet – es sind mehrheitlich Pensionierte, die hierherziehen.

Ein bilaterales Abkommen zwischen Tunesien und Italien aus den 1980er-Jahren ermöglicht es den Italienern, sich im Land niederzulassen – und das zu einem reduzierten Steuersatz auf lediglich 20 Prozent des Einkommens.

Es gibt viele Ähnlichkeiten – vor allem mit Sizilien, das ja ganz in der Nähe liegt.
Autor: Antonina Di Bella Italienerin in Hammamet

Auch Antonina Di Bella hat den Schritt gewagt. Seit 2021 lebt die Italienerin, die teils in der Schweiz aufgewachsen ist, in Hammamet. Hier fühle sie sich wohl. Auf der Strasse könne sie sich auf Italienisch unterhalten und alle seien sehr zuvorkommend. «Sicherlich ist die Kultur etwas anders, aber es gibt auch viele Ähnlichkeiten – vor allem mit Sizilien, das ja ganz in der Nähe liegt.»

«In Hammamet sind Strassen mit italienischen Namen angeschrieben und in den Geschäften, Apotheken, bei den Ärzten, wo immer man hingeht, sprechen sie Italienisch, Französisch und Arabisch.» Es sei fast wie in Italien, so Di Bella.

Italiener helfen den lokalen Geschäften

Das zeigt sich auch im Ort selbst. Dort hat man sich auf die neuen Zuzügerinnen und Zuzüger eingestellt. Es gibt viele italienische Restaurants, die Pasta, Pizza und andere Spezialitäten anbieten. Hammamet gehört zu den gefragtesten Städten in Tunesien. Das allerdings hat auch Einfluss auf die Immobilienpreise vor Ort. Sie sind stabil hoch.

Dennoch profitiere die lokale Bevölkerung vor Ort von den neuen Zuzügern, sagt Sprachlehrer Aymen Mrad. Er unterrichtet neben Französisch auch den tunesischen Dialekt.

«Italiener, die hierherkommen, bringen offensichtlich Wohlstand mit, weil sie ihre Rente beziehen. Nicht alle von ihnen haben sehr hohe Renten, aber sie helfen den lokalen Geschäften, sich zu entwickeln. Die Italiener, die hier leben, machen einen Unterschied, besonders im Winter, aber auch das ganze Jahr über, weil sie hier einkaufen. Das schafft eine Mikroökonomie, die der ganzen Stadt hilft.»

Das neue Steuerparadies scheint bei den Italienerinnen und Italienern immer beliebter zu werden: Allein im letzten Jahr sind rund 1100 italienische Pensionierte nach Tunesien ausgewandert.

Anthropologin: «Pensionierte verändern Hammamet tiefgreifend»

Box aufklappen Box zuklappen

Gloria Frisone ist Forscherin und Dozentin für Sozial- und Kulturanthropologie an der Universität Pavia. Sie hat in Hammamet das Leben der italienischen Pensionierten mehrere Monate lang erforscht und mit der Gemeinschaft vor Ort gelebt.

Frau Frisone, warum zieht es so viele pensionierte Italiener nach Hammamet?

Das Leben in Hammamet wird von vielen Italienern als ein Leben in Freiheit und Unbeschwertheit wahrgenommen. Entgegen einer Tendenz, die sich ihrer Meinung nach in den letzten Jahrzehnten in Europa durchgesetzt hat: nämlich einem System von Zwängen und Auflagen. Man kann im Falle der Italiener auch von einer ‹Protestmigration› gegen das italienische Finanzamt sprechen, das als unverhältnismässig und drückend empfunden wird.

Wie hat sich Hammamet verändert durch die Präsenz der italienischen Rentner?

Die italienische Gemeinschaft hat das lokale Umfeld in Hammamet tiefgreifend verändert, indem sie eine ‹Ferienkolonie› geschaffen hat: eine Siedlung, die die Gewohnheiten, den Konsum und die Routinen typischer italienischer Städte wiedergibt, ohne jedoch eine echte Verbindung zur lokalen Bevölkerung zu haben. Dadurch entstehen zwei parallele Gemeinschaften. Die privaten Agenturen sind zu Bezugspunkten für die italienische Gemeinschaft geworden. Sie organisieren das ganze Jahr über eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten, die dem Leben der Rentner eine Struktur und das Gefühl eines ewigen Urlaubs geben.

Welche Nachteile hat die Ankunft einer überwiegend wohlhabenden Kundschaft aus Italien für die lokale Bevölkerung?

Die wohlhabende italienische Gemeinschaft bringt für die Tunesier mehrere Nachteile mit sich: Die lokale Wirtschaft ist vom italienischen Tourismus abhängig geworden, was zu einer Gentrifizierung geführt hat. Die Immobilienpreise wurden in die Höhe getrieben und traditionelle Wirtschaftszweige sind verarmt.

10v10, 03.11.25, 21:50 Uhr;mcep/sten

Meistgelesene Artikel