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«Strategische Autonomie» Macron gegen USA: Vision ohne Erfolgsaussicht

Emmanuel Macron mag Visionen, und er mag Provokationen. 2017, als frisch gewählter französischer Präsident, propagierte er die «europäische Souveränität»: Die EU müsse wirtschaftlich, diplomatisch und auch militärisch endlich auf eigenen Füssen stehen. Als «hirntot» bezeichnete er zwei Jahre später die Nato, die als Militärbündnis Frankreich und die meisten anderen EU-Staaten mit den USA verbindet.

Eigentlich kommen seine jüngsten Aussagen also wenig überraschend. «Wir müssen unsere Partner auswählen können und unser Schicksal selbst bestimmen», sagte Macron in einer Rede.

«Gefolgsleute der USA»

Europa müsse «strategische Autonomie» erlangen, postulierte er am Osterwochenende. Er meinte damit Autonomie von den USA, konkret mit Blick auf den Streit zwischen den USA und China um die Insel Taiwan. Es bestehe die Gefahr, mahnte Macron, dass die europäischen Staaten als «Gefolgsleute der USA» in Krisen hineingezogen würden.

Dass manche Aussagen Macrons für Empörung sorgten, ist der Weltlage geschuldet. Im Krieg Russlands gegen die Ukraine stehen die EU-Staaten zwar wortreich hinter der Ukraine, doch mit Taten unterstützt wird das Land vor allem von den USA. Und während Macron China kürzlich mit einem Staatsbesuch beehrte, erachten viele in der EU China als die eigentliche Gefahr für den Weltfrieden.

Widersprüchliche Haltung des Westens zu Taiwan

China will Kontrolle über das ganze Südchinesische Meer erlangen, lässt zu diesem Zweck künstliche Inseln aufschütten, unter Missachtung des Völkerrechts. Und auch die Insel Taiwan – nach eigener Bezeichnung die «Republik China» – soll unter Kontrolle gebracht werden, notfalls mit Gewalt.

Dabei ist die Haltung des Westens in der Taiwan-Frage durchaus widersprüchlich. Zwar anerkennen die USA Taiwan nicht als souveränen Staat an, wollen dem Land im Fall eines chinesischen Angriffs aber beistehen. Frankreich wiederum würde sich einem militärischen Beistand zwar nicht anschliessen, befürwortet aber ausdrücklich den heutigen Status Taiwans und ruft China zum friedlichen Dialog auf.

Frankreich und die EU für China nicht auf Augenhöhe

Doch sind aus chinesischer Sicht weder Frankreich noch die EU Partner auf Augenhöhe. Der Gefahr eines chinesisch-taiwanesischen oder gar chinesisch-amerikanischen Kriegs dürften sie daher wenig entgegenzusetzen haben; zu unbedeutend erscheinen die europäischen Druckmittel, um Dialog erzwingen zu können.

Und daran werden auch Macrons Autonomie- und Souveränitäts-Aufrufe bis auf Weiteres nichts ändern. Denn die EU ist sehr weit davon entfernt, diplomatisch und militärisch als Weltmacht agieren zu können.

Eine Super-EU unter französischer Führung ist das Letzte, was sich etwa osteuropäische EU-Mitglieder wünschen. Für sie bleiben die USA Partner Nummer eins. Einer Schwächung der Nato zugunsten der EU würden sie nicht zustimmen.

Widerstand für Macron auch zu Hause

Und sollte Macron mit «europäischer Souveränität» einen europäischen Bundesstaat meinen, also «Vereinigte Staaten von Europa» mit schlagkräftiger Diplomatie und gemeinsamen Streitkräften inklusive Atomwaffen – dann müsste er zuallererst mit Widerstand zu Hause rechnen. Wie damals in den 1950er Jahren, als die französische Vision einer gemeinsamen europäischen Armee letztlich am «Non» des französischen Parlaments scheiterte.

Emmanuel Macron mag Visionen haben, er mag provozieren – doch wie seine Aussagen Europa zu mehr «Souveränität» verhelfen sollen, bleibt schleierhaft.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Hier finden Sie weitere Artikel von Sebastian Ramspeck und Informationen zu seiner Person.

Tagesschau, 11.04.2023, 19:30 Uhr

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