Zum Inhalt springen

Streit um Aktivist Kavala Erdogan will westliche Diplomaten nun doch nicht ausweisen

  • Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will zehn Botschafter, darunter die Vertreter der USA, Frankreichs und Deutschlands, nun doch nicht ausweisen.
  • Erdogan wertet die zurückhaltende Reaktion der betroffenen Staaten als Einlenken. Die Botschafter hätten vor «der Verleumdung unseres Landes kehrt gemacht».
  • Hintergrund war eine Erklärung der zehn Botschafter, die eine Freilassung des türkischen Kulturförderers Osman Kavala verlangt hatte. 

Wer die Unabhängigkeit der Türkei und die Empfindsamkeiten der Türken nicht respektiere, werde in diesem Land nicht willkommen geheissen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan nach einer Sitzung seines Kabinetts. Die zehn Botschafter hätten vor «der Verleumdung unserer Justiz und unseres Landes kehrt gemacht», sagte Erdogan. Er glaube daran, dass die Botschafter in Zukunft «vorsichtiger» sein werden.

Der EU-Botschafter in der Türkei, Nikolaus Meyer-Landrut, hat diese Entspannung im Streit um eine drohende Ausweisung von westlichen Diplomaten begrüsst. Man könne hoffen, auf dieser Grundlage nun weiter zusammenzuarbeiten. Es gebe viele gemeinsame Interessen und Herausforderungen, so Meyer-Landrut weiter.

Der Fall Kavala

Vor einer Woche hatten die Botschafter der USA, aus Deutschland, Frankreich, Kanada, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen und Schweden die Freilassung des türkischen Kulturförderers Osman Kavala verlangt.

Am Samstag hatte Erdogan dann mitgeteilt, er habe das Aussenministerium angewiesen, die Botschafter zu unerwünschten Personen («Persona non grata») zu erklären.

Erdogan in der Bredouille

Box aufklappen Box zuklappen

Osman Kavala sitzt seit vier Jahren ohne Urteil in Haft. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg hat die Freilassung des Mannes angeordnet. Als Mitglied des Europarats ist die Türkei an Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gebunden. Der Türkei droht nun der Rauswurf aus dem Europarat, weil sie sich weigert, den Bürgerrechtler Osman Kavala freizulassen. Ob ein derartiges Verfahren eingeleitet wird, wird in fünf Wochen entschieden. Thomas Seibert, freier Türkei-Korrespondent in Istanbul sagt dazu: «Erdogan ist in der Bredouille: Entweder lässt er Kavala doch frei, oder aber er riskiert, dass die Türkei ihren Platz im Europarat verliert. Das wäre eine empfindliche internationale Demütigung für die Türkei.»

Sobald dies den betroffenen Staaten offiziell mitgeteilt wird, müssen sie nach dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen ihre Tätigkeit «innerhalb einer angemessenen Frist» einstellen. Nur lag bis Montagmittag keine solche offizielle Mitteilung vor.

Irritationen reihum

Deutschland reagierte irritiert auf die angedrohte Ausweisung. Man nehme die Äusserungen «mit Sorge zur Kenntnis und auch mit Unverständnis», sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Eine Reaktion werde es zunächst aber nicht geben.

Die Botschaften der USA, Kanadas, Neuseelands und der Niederlande in Ankara twitterten schliesslich am Montagnachmittag eine Erklärung, sich weiterhin an Artikel 41 des Wiener Übereinkommens zu halten. Unter anderen die deutsche Botschaft teilten den Tweet:

Diese Erklärung mit Bezug auf die diplomatischen Regeln feierte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu als Erfolg und twitterte ihrerseits: «Die US-Botschaft in Ankara hat nachgegeben.» Erdogan begrüsse die Erklärung, berichtete Anadolu unter Berufung auf das Büro des Präsidenten.

Auch der Sprecher der Regierungspartei AKP, Ömer Celik, zeigte sich zufrieden: «Wir lehnen jede Erklärung, die eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Landes bedeutet, auf stärkste Weise ab.» 

Forderung nach Freilassung von Osman Kavala

Hintergrund der Äusserungen Erdogans war die Erklärung der zehn Botschafter, die die Freilassung von Osman Kavala gefordert hatten.

Kavala wird beschuldigt, die regierungskritischen Gezi-Proteste in Istanbul 2013 unterstützt und einen Umsturzversuch angezettelt zu haben. Ihm wird ausserdem «politische und militärische Spionage» im Zusammenhang mit dem Putschversuch von 2016 vorgeworfen.

Der 64-jährige Kavala sitzt seit 2017 in Istanbul in Untersuchungshaft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte schon 2019 seine Freilassung angeordnet.

Auch im Inland schlägt Erdogan Kritik entgegen. Sein früherer Getreuer und der ehemalige Präsident des Landes, Abdullah Gül, sagte der Zeitung «Sözcü», es könne nicht im Interesse des Landes sein, die Sache zu einer noch grösseren Krise zu machen. Die Opposition warf Erdogan Ablenkung von der Wirtschaftskrise vor.

Echo der Zeit, 24.10.2021, 18:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel