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Erdogan möchte Istanbuls Wirtschaft am Laufen halten
Aus SRF 4 News aktuell vom 03.04.2020. Bild: Keystone
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Streit um Corona-Massnahmen «Die Türkei wird kaum um eine Ausgangssperre herumkommen»

In die Türkei ist ein Kräftemessen zwischen Präsident Recep Tayyip Erdogan und dem Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, im Gang. Sie sind sich uneinig, was die notwendigen Massnahmen gegen die Pandemie angeht. Dabei ist sich der Journalist Thomas Seibert sicher, dass das Land wohl nicht darum herumkomme, bald eine landesweite Ausgangssperre zu verhängen.

Thomas Seibert

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert ist seit 1997 Korrespondent für den deutschen «Tagesspiegel» in Istanbul und berichtet auch für andere Medien, unter anderem für SRF.

SRF News: Der Machtkampf zwischen Erdogan und Imamoglu ist nicht neu. Warum verschärft er sich gerade jetzt?

Thomas Seibert: Der Streit mitten in der Corona-Krise spielt sich nicht nur zwischen Regierung und Opposition, sondern auch zwischen der Zentralregierung und oppositionellen Stadtverwaltungen in Istanbul, Ankara oder Izmir ab. Erdogan möchte diese Städte an die kurze Leine nehmen, damit sich Oppositionspolitiker wie Imamoglu nicht profilieren können.

Wie will Erdogan die Wirtschaft in Istanbul trotz Pandemie am Laufen halten?

Er setzt in der Millionenstadt auf niederschwellige Massnahmen wie das Sperren der Promenade entlang des Bosporus für Spaziergänger und Sporttreibende. Dabei muss man wissen: Istanbul erwirtschaftet mehr 30 Prozent des türkischen Bruttoinlandprodukts. Entsprechend wichtig ist die Millionenstadt für die Wirtschaft der Türkei.

60 Prozent aller türkischen Corona-Fälle wurden in Istanbul registriert.

Bürgermeister Imamoglu dagegen möchte eine Ausgangssperre in seiner Stadt. Er argumentiert damit, dass 60 Prozent aller türkischen Coronafälle in Istanbul registriert worden seien. Entsprechend wichtig seien radikale Massnahmen an diesem Corona-Hotspot.

Imamoglu spricht.
Legende: Erdogans Gegenspieler: Istanbuls Bürgermeister Imamoglu von der CHP. Keystone

Geht es nur um die Massnahmen gegen das Coronavirus oder gibt es noch andere Streitpunkte?

In der Tat geht es um mehr als bloss die Bekämpfung der Pandemie in der Türkei. Ein Streitpunkt ist eine von Erdogan geplante Amnestie von Gefangenen, um die überfüllten türkischen Gefängnisse zu entlasten und dort die Ausbreitung von Corona zu verhindern. Bis zu 100'000 Betrüger und Schläger sollen freikommen, aber keine inhaftierten Journalisten. Das wird von der Opposition, zu der auch Imamoglu gehört, scharf kritisiert.

Betrüger und Schläger sollen freikommen – aber keine Journalisten.

Erdogan hat ausserdem eine Spendenaktion für Bedürftige lanciert und es den Städten gleichzeitig verboten, selber solche Aktionen zu starten. Dazu hat er deren Konten kurzerhand sperren lassen.

Auch in der Corona-Krise arbeiten die Zentralregierung und die Städte also nicht zusammen, um gemeinsame Lösungen zu finden?

Die Türkei ist sehr zentralistisch organisiert. Die Regierung in Ankara ordnet an, die Städte führen aus. Doch die Städte geben sich sehr selbstbewusst und wollen eigene Schwerpunkte setzen. Das war in Zeiten, da die Regierungspartei AKP von Erdogan auch die Stadtregierungen stellte, kaum ein Problem. Doch weil viele Städte inzwischen von der Opposition regiert werden, tritt dieser Gegensatz jetzt stärker zutage.

Die Türkei wird kaum um drastischere Massnahmen herumkommen.

Werden Regierung und Opposition – wenn sich die Corona-Krise weiter verschlimmert – nicht gezwungen sein, eine gemeinsame Linie zu fahren?

Tatsächlich wird es früher oder später wohl eine Ausgangssperre geben müssen. Wenn immer mehr Menschen in der Türkei mit dem Coronavirus angesteckt werden, wird klar werden, dass Massnahmen wie das Spazierverbot am Bosporus nichts bringen. Ob eine landesweite Ausgangssperre von Erdogan und den Städten in Zusammenarbeit verordnet wird, ist dann wohl zweitrangig. Sicher scheint, dass die Türkei kaum um drastischere Massnahmen herumkommen wird.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

SRF 4 News aktuell, 06.20 Uhr;

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