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Streit um Eurobonds Italien krebst zurück

Als ob es eine Schicksalsfrage wäre: Seit Monaten diskutiert Italien darüber, den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu unterstützen oder zu bekämpfen. Der «ESM» oder Italienisch «MEF» ist hier im Land längst ein Unwort. Sowohl Regierungspartner Cinquestelle als auch die Opposition von Lega und Fratelli d‘Italia schimpfen den Nachfolger des «Rettungsschirms» noch aus der Zeit der Euro-Krise eine finanzpolitische Geissel, die Italiens Souveränität untergrabe und den Italienern ihr Erspartes raube. Dabei wird das Gedächtnis aufgefrischt von Troika und internationaler Aufsicht, welche jahrelang das schuldengeplagte Griechenland massregelte.

Dabei ist ESM/ MEF in der Corona-Krise jetzt aktueller denn je. Laut Vereinbarung der EU-Finanzminister darf nämlich jedes Land aus dem Topf dieser neuen Europäischen Finanzierungsinstitution Kredite und Bürgschaften im Wert von bis zu zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts entnehmen – zu günstigen Konditionen, um die nationalen Gesundheitssysteme für Covid-19 wieder fit zu machen. Auf Italien würden so rund 36 Milliarden Euro entfallen.

Keine Chance im Rat

Aufgrund des politischen Drucks hat Ministerpräsident Giuseppe Conte das Angebot bislang immer ausgeschlagen. Doch kurz vor dem EU-Gipfel am Donnerstag sind jetzt die Töne leiser.

Viele in Italien – voran die Demokratische Partei und ihr Finanzminister – raten, das Milliarden-Angebot aus Brüssel anzunehmen. Bessere Konditionen gäbe es nicht. Denn der Gegenvorschlag von Eurobonds, also Schuldverschreibungen, für welche die gesamte Eurozone bürgen und welche einzelne EU-Staaten wie Italien als Anleihen ausgeben könnten, habe im Europäischen Rat keine Chance.

Finanzminister Roberto Gualtieri
Legende: Kompromissbereit: Finanzminister Roberto Gualtieri Reuters

Italien braucht aber mindestens 100 Milliarden Euro, um die sozialen und wirtschaftlichen Kosten der Corona-Krise finanziell abzufedern. Das geht nicht ohne europäische Hilfe und schon gar nicht nur durch den bisherigen Ankauf italienischer Staatsanleihen über die Europäische Zentralbank.

Unkalkulierbare Risiken

Italien wird sich noch stärker verschulden müssen, auf über 160 Prozent des Bruttoinlandprodukts! Ohne Rückhalt und konzertierte Aktion sämtlicher EU-Staaten und Brüssel riskiert das Land, Zielscheibe der Spekulation auf den internationalen Finanzmärkten zu werden. Mit unkalkulierbaren Risiken. Der Worst-Case «Zahlungsunfähigkeit» im Zuge einer Pandemie und einer weltweiten Rezession wäre nicht nur für Italien, sondern für die gesamte Eurozone dramatisch.

Auch deshalb hat sich bei Giuseppe Conte wohl die Einsicht durchgesetzt: lieber in dieser Phase mit Brüssel und der EU als mit den Populisten in Regierung und Opposition in Rom. Der italienische Ministerpräsident muss jetzt aber Mut und Rückgrat zeigen, denn eine Einigung auf der Basis des bisher Verhandelten wird für Matteo Salvini und seine rechte Opposition nur heissen: Italien hat sich wieder einmal über den Tisch ziehen lassen. Damit kann der Lega-Chef pokern und die anti-europäische Stimmung in Italien weiter befeuern. Ein Hoffnungsschimmer für das Corona-geplagte Land wäre das aber nicht.

Philipp Zahn

Auslandredaktor

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Philipp Zahn ist Teil der TV-Auslandredaktion von SRF. Davor berichtete er als Korrespondent aus Italien, Griechenland und der Türkei. Zahn studierte Geschichte, Volkswirtschaft und Philosophie in Berlin und Siena.

Tagesschau, 19.30h vom 22.04.2020 ; 

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