Als der kolumbianische Präsident Gustavo Petro sein Amt antrat, versprach er «Paz total» – umfassenden Frieden. Noch immer kontrollieren Guerillagruppen, Paramilitärs und Drogenmafias ganze Regionen. Nun kann Petro einen wichtigen Schritt vermelden: In Doha wurde mit der grössten bewaffneten Gruppe des Landes, dem Golf-Clan, ein Rahmenabkommen für weitere Friedensverhandlungen geschlossen – mit der Schweiz als Vermittlerin. Südamerika-Korrespondentin Karen Naundorf erklärt das Abkommen und die Hintergründe.
Worum geht es bei dem Abkommen?
Der Staat verhandelt mit dem Golf-Clan, der sein Geld in erster Linie mit Kokainhandel, illegalen Goldminen und Erpressung verdient. Hauptziele der Regierung sind es, die Gewalt in den Clanregionen spürbar zu senken und die Mitglieder auf ein Leben in der Legalität vorzubereiten. Der rechtliche Rahmen dafür wurde bereits vor ein paar Jahren geschaffen: Das sogenannte Unterwerfungsgesetz reduziert Strafen, legalisiert einen Teil von illegalen Vermögen und bietet Sicherheitsgarantien – im Gegenzug für die Waffenniederlegung und eine Kooperation mit dem Staat.
Was ist die Rolle der Schweiz?
Die Schweiz gehört zum Kernteam der Mediation, neben Norwegen, Katar und seit Kurzem auch Spanien. Schweizer Diplomaten begleiten schon lange Friedensprozesse in Kolumbien und bringen wertvolles Kontextwissen mit. Sie geniessen Vertrauen beim Staat und bei bewaffneten Gruppen. In Doha ging es nun darum, die Ausarbeitung von Mechanismen zur Überwachung des Friedensabkommens auszuarbeiten. Die Schweiz trifft keine Entscheidungen – sie hilft, den Rahmen für Verhandlungen zu schaffen und greift moderierend ein.
Warum lässt sich die Regierung darauf ein?
Die Friedensverhandlungen erkennen eine Tatsache an: Der Golf-Clan kontrolliert Hunderte von Gemeinden und zentrale Drogenrouten. Der «Krieg gegen die Drogen» ist gescheitert. Der Golf-Clan wurde stärker statt schwächer – die Zahl der Mitglieder wuchs von rund 3400 im Jahr 2018 auf geschätzt bis zu 9000. Kritiker im Parlament und bei Opferverbänden sehen die Gefahr, dass der Staat zu viele Zugeständnisse macht. Diese Details werden noch Teil der Verhandlungen sein.
Wie stark verankert ist der Golf-Clan in den Regionen?
Das beste Bild ist wohl das eines «Schattenstaates». In vielen Gemeinden sind die Clanmitglieder de facto Autoritäten, die Ausgangssperren verhängen, Jugendliche rekrutieren und «Steuern» erheben, also Erpressungsgelder einfordern. Sie kontrollieren Kokaanbau-Gegenden und Exportkorridore. Kurz: In vielen Gebieten füllt der Golf-Clan jene Lücke, die der Staat gelassen hat – mit Gewalt statt mit Rechten.
Könnte das Abkommen eine Signalwirkung über Kolumbien hinaus haben?
Eine Regierung verhandelt in einem Drittstaat mit einem kriminellen Akteur, der weder Guerilla noch reiner «Kartell-Clan» ist, sondern territoriale und quasi-staatliche Macht hat – das ist beispiellos. Wenn es gelingt, könnte das Modell – eine Kombination aus Friedenspolitik, Sicherheitsstrategie und Übergangsjustiz – Anregungen für andere Länder bieten, wo Kartelle ebenfalls Territorien kontrollieren. Aber: Time will tell. Das Abkommen ist eine Chance, nun kommt es auf Details und Umsetzung an.