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«Surrogate Warfare» Krieg führen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen

Russland oder die USA setzen in Auseinandersetzungen immer mehr auf ausländische Akteure. Eine gefährliche Entwicklung.

«Surrogate Warfare», Stellvertreterkriege. Jean-Marc Rickli und Andreas Krieg stellen in ihrem neuen Buch fest, dass dies zur Norm geworden ist. Beispiel Jemen: Dort nimmt der Iran durch die Houthi-Rebellen immer stärker Einfluss. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate kämpfen im Jemen, so Krieg vom King’s College in London, kaum mit eigenen Soldaten.

Der Krieg werde mit der Southern Transitional Council geführt. «Eine Verbindung von verschiedenen Rebellengruppen und Stammesverbindungen, welche die Emiratis in den letzten Jahren aufgebaut haben.» Die Emiratis hätten in all den Jahren zudem Unterstützung aus dem Sudan erhalten. «Das Kanonenfutter, wenn man das so sagen kam, kam aus dem Sudan.»

Was ist ein Stellvertreterkrieg?

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Der Begriff «Stellvertreterkrieg» hat durch den Kalten Krieg den Einzug in die Sprache gefunden (englisch «proxy war»). Er wurde während des Vietnamkrieges erstmals verwendet und in der Literatur und der Politik aufgegriffen. Ursprünglich bezog er sich nur auf die vermehrt nach dem Zweiten Weltkrieg aufkommenden Kriege, in denen die USA und Verbündete auf der einen Seite, sowie die Sowjetunion und Verbündete (der so genannte Ostblock) auf der anderen Seite, ihre geopolitischen und ideologischen Interessenkonflikte in Drittstaaten militärisch austrugen.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde der Begriff weiter gefasst und auch auf Kriege anderer Großmächte vor und nach dem «Kalten Krieg» ausgedehnt. Nach dem Ende des «Kalten Krieges» ist der Begriff «Stellvertreterkrieg» auch als Metapher in den alltäglichen Sprachgebrauch eingezogen.

In Syrien hätten die USA gleich auf zwei Stellvertreter gesetzt, so Rickli vom Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, um gegen das Regime von Assad zu kämpfen: zunächst auf islamistische Gruppierungen, die vom Geheimdienst CIA gesteuert wurden, später auf die Kurden.

China setzt im chinesischen Meer bewaffnete Milizen ein, gesteuert und finanziert vom Regime in Peking. Russland etwa benutzt in der Ostukraine lokale Milizen und in Syrien oder in Afrika die sogenannte Gruppe Wagner, eine Moskau-nahe Söldnertruppe, die es offiziell gar nicht gibt.

Mann mit Gewehr vor zerstörter Stadt.
Legende: Die Kurden kämpfen in Syrien als Stellvertreter für die USA gegen das Assad-Regime. Keystone

«Viele Regierungen fühlen sich genötigt, militärisch zu handeln, aber zugleich sind sie unter Druck, ja keine eigenen Bürger dafür zu opfern», sagt Rickli. Wenn «nur» Söldner, nur Ausländer sterben, ist der Krieg emotional weiter weg und in den Augen der Öffentlichkeit weit weniger dramatisch.

Weitere Stellvertreterheere bilden die Hacker, Cyber- und Propagandakrieger. Oft werden sie mit ideologischen Mitteln zum Mitmachen gewonnen, noch häufiger aber auch ganz einfach bezahlt, wie die russischen Trollfabriken, die den Westen propagandistisch schwächen sollen.

Der Vorteil: Eine angeschuldigte Regierung kann stets behaupten, gar nicht selber hinter Cyberattacken zu stecken oder hinter dem Versuch, Wahlen in einem Drittland zu manipulieren. Man spricht dann von der Abstreitbarkeit feindseliger Handlungen.

Maschinen als Bedrohung

Schliesslich gibt es in wachsendem Masse auch Maschinen als Krieger. Ihr Einsatz wird noch gewaltig zunehmen. Und zwar mit der bedrohlichen, aber bisher durch keinerlei Abkommen eingegrenzten Entwicklung autonomer Waffensysteme.

Systeme, bei denen nicht nur wie bei Drohnen, kein Pilot mehr am Steuer sitzt, sondern bei denen am Ende ein Computerprogramm entscheidet, wann geschossen wird. Wer kann dann noch verantwortlich gemacht werden? Ein Regierungschef? Ein General? Der Programmierer?

Ethische Einwände gross

Für alle Formen der Stellvertreter gilt, dass sie oft billiger sind. Wenn sie sterben, gibt es keinen Aufschrei. Man heuert sie an und entlässt sie nach Belieben. Man dementiert ihren Einsatz und verwischt Verantwortlichkeiten

Beträchtlich sind jedoch auch die Risiken. Etwa wenn die Stellvertreter eine eigene Agenda verfolgen. «Die Amerikaner mussten das in Syrien erfahren, als die Islamisten und die Kurden, ihre Ersatzkrieger vor Ort, begannen, sich gegenseitig umzubringen», erzählt Rickli.

Ein Stellvertreterkrieg kann ausser Kontrolle des Auftraggebers geraten.

Am schwersten aber wiegen ethische Einwände. Denn wer reich genug ist, nicht mehr das Blut der eigenen Landsleute vergiessen zu müssen, führt viel leichter und viel leichtfertiger Krieg.

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