Worum geht es? In Grossbritannien sind seit Juni vergangenen Jahres 54 Menschen an den Folgen des synthetischen Opioids Nitazen gestorben, wie die Kriminalpolizei des Landes berichtete. In der Stadt Birmingham beispielsweise waren es innerhalb von zwei Monaten 30 Todesfälle. Das Problem an Nitazen ist, dass es anderen Drogen wie Heroin beigemischt wird. Nitazen hat eine viel stärkere Wirkung – einige hundertmal stärker als Morphin – auf die Konsumenten und Konsumentinnen als Heroin, und es braucht somit deutlich weniger davon, bis der Konsum zu einer Überdosis und zu einem Atemstillstand führt. «Die medizinischen Fachleute und Drogenexpertinnen sind sehr alarmiert», sagt Peter Stäuber, ein Schweizer Journalist, der seit vierzehn Jahren in England lebt und von dort berichtet. Experten befürchten, dass diese Geschehnisse eine dauerhafte Entwicklung im britischen Drogenmarkt sein könnten.
Es ist im Moment sicher kein grosses Thema in der Schweiz.
Wo liegt das Problem in Grossbritannien? Dass es in Grossbritannien regelmässig Drogentote gibt, ist nichts Neues. 2021 starben mehr als zwölf Personen pro Tag an Drogenvergiftungen. Gemäss Journalist Stäuber ist bei Nitazen jetzt das «grosse Problem», dass – weil es anderen Drogen beigemischt wird – viele Konsumentinnen und Konsumenten gar nicht wüssten, dass sie Nitazen konsumierten, und es somit weniger Stoff für eine Überdosis brauche. Es werde befürchtet, dass sich die Droge in Grossbritannien und anderen europäischen Ländern nun ausbreiten könnte, sagt Stäuber: «In den USA und Kanada hat man in den letzten Jahren gesehen, dass die Verbreitung von synthetischen Opioiden auch zu einer Zunahme der Überdosen führt.»
Wie wollen die Gesundheitsbehörden Grossbritanniens weitere Todesfälle verhindern? Spezifische Massnahmen zu Nitazen gebe es bislang nicht, sagt Journalist Stäuber. Aber es gebe Forderungen von Medizinern und Drogenexpertinnen, dass zum Beispiel ein besseres Überwachungs- und Warnsystem aufgebaut werden und Ersatzdrogen für Abhängige wie Methadon einfacher zugänglich sein sollen. «Es geht also hauptsächlich um die Ausweitung von bekannten Massnahmen, um die Risiken des Drogenkonsums zu minimieren», sagt Stäuber.
Wie sieht es in der Schweiz im Moment aus? «Es ist im Moment sicher kein grosses Thema in der Schweiz», sagt Frank Zobel, Vizedirektor und Co-Leiter der Forschungsabteilung bei der Stiftung Sucht Schweiz. Es könnte aber durchaus sein, dass Menschen in der Schweiz bereits Nitazen konsumiert haben, indem sie beispielsweise übers Internet Heroin oder Schmerzmittel bestellt haben, dem Nitazen beigefügt wurde.
Kommt Nitazen bald auch zu uns? Seitdem in Afghanistan die Taliban die Macht übernommen haben, ist der Opiumanbau im Land verboten. Frank Zobel sagt, man könne auf Satellitenbildern sehen, dass es dort viel weniger Opiumanbau gebe. Aber es gebe Lagerbestände an Opium, Morphin und Heroin in Afghanistan, aber auch entlang der Balkanroute, wo die Droge in Richtung Europa und die Schweiz gelangt. Unklar sei nun, wie lange diese Lagerbestände reichen, und ob die Taliban das Verbot weiter durchsetzt. Sollte dies der Fall sein, könne das zu Heroinknappheit führen, wobei hierzulande die Preise und die Zugänglichkeit der Droge steigen und auch der Reinheitsgrad womöglich sinken könnte.