Erstmals seit der Machtübernahme in Afghanistan reisen die Taliban in ein westliches Land. Während drei Tagen in Oslo werden sie mit Vertretern der afghanischen Zivilgesellschaft, mit Menschenrechtlerinnen und Diplomaten westlicher Ländern Gespräche führen. Welche Bedeutungen die Gespräche haben, weiss SRF-Korrespondent Thomas Gutersohn.
SRF News: Was erhoffen sich die Taliban von diesen ersten Gesprächen in Oslo?
Thomas Gutersohn: Die Taliban erhoffen sich einerseits, dass mehr Hilfsgüter gesprochen werden. Aktuell herrscht dort eine Notsituation. Die Menschen hungern und frieren – diese Situation könnte man mit Hilfsgeldern in den Griff bekommen.
Andererseits erhoffen sich die Taliban, dass ihre Regierung von den anderen Staaten anerkannt wird. Das dürfte aber schwierig werden, weil die Taliban nicht demokratisch an die Macht gekommen sind, sondern sich an die Macht geputscht haben.
Zu welchen Zugeständnissen sind denn die Taliban bereit, um sich im Westen mehr Anerkennung zu sichern?
Die Zugeständnisse der Taliban sind klar. Sie sagen, dass sie Menschenrechte und insbesondere auch Frauenrechte akzeptieren. Auch, dass Frauen weiterhin oder wieder zur Arbeit gehen und Mädchen in die Schule gehen sollen.
Das sind sehr anekdotische Beweise. Man kann jetzt nicht sagen, dass jetzt im ganzen Land Mädchen in die Schule gehen können.
Das Problem ist allerdings, dass dies im Moment nur Versprechen sind. Man weiss nicht genau, wie ernst es die Taliban meinen. Versuche, Schulen für Mädchen zu öffnen, gingen zaghaft voran. Zwar gibt es Universitäten und Schulen, die vorübergehend offen waren und an vereinzelten Orten noch offen sind. Jedoch sind das sehr anekdotische Beweise. Man kann jetzt nicht sagen, dass im ganzen Land Mädchen in die Schule gehen können.
Wie viel Hoffnung legen die Menschen in Afghanistan in diese Gespräche?
Unter der Bevölkerung ist die Hoffnung gross, dass wieder Hilfsgelder ins Land fliessen. Noch bis vorletzten Sommer war das Land bis zu 70 Prozent von ausländischen Geldern abhängig. Mit der Übernahme des Taliban wurden diese Gelder über Nacht gestoppt. Dieses Geld fehlt momentan.
Bisher haben diese Gespräche aber nicht wirklich gefruchtet.
Es braucht sicherlich eine politische Lösung mit den Taliban. Das sagen auch viele Hilfs-Organisationen. Ein Treffen in Oslo ist ein neuer Anlauf. Es ist zudem nicht der Erste. Die Taliban haben sich schon mit Vertretern der EU und der USA in verschiedenen Orten in Russland, Katar oder Doha getroffen. Bisher haben diese Gespräche aber nicht wirklich gefruchtet.
Was bedeutet es für Afghanistan, wenn nach diesen drei Tagen nichts Handfestes herauskommt?
Das würde bedeuten, dass die Notlage in Afghanistan sicherlich weiter andauern würde. Wenn keine Hilfsgelder ins Land kommen, kann das Bankwesen nicht in den Schwung kommen. Dass es nicht genügend flüssige Mittel in Afghanistan gibt, ist eines der grössten Probleme im Moment. Denn es gibt Menschen, die eigentlich Geld auf dem Konto haben, dieses nicht abheben können.
Drei Tage in Oslo werden die Beziehungen zwischen dem Westen und den Taliban nicht gleich normalisieren.
Das kleinste Resultat wäre daher, dass weitere Hilfsgelder gesprochen werden könnten, um zumindest die akute Notsituation der Menschen in Afghanistan zu lindern. Eine maximale Lösung wäre eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Westen und den Taliban – was nicht gleich eine Anerkennung der Regierung bedeuten müsste.
Allerdings darf man die Erwartungen da auch nicht allzu hoch werden. Drei Tage in Oslo werden die Beziehungen zwischen dem Westen und den Taliban nicht gleich normalisieren. Da braucht es sicherlich weitere Konferenzen. Zu hoffen ist, dass es zumindest ein Schritt in diese Richtung getan werden könnte.
Das Gespräch führte Adam Fehr.