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Telefonat mit Trump «Für Selenski ist es ein Ritt auf der Rasierklinge»

Ein Telefonat von US-Präsident Donald Trump mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski dominiert die US-Innenpolitik. Die Demokraten haben deswegen ein Amtsenthebungsverfahren angestossen. Das veröffentlichte Gesprächsprotokoll zeigt aber auch: Selenski war am Telefon voll des Lobes für Trump. Das Gespräch könnte dem ukrainischen Präsidenten aussenpolitisch schaden – und damit mittelfristig auch innenpolitisch, sagt Marcel Röthig, der in Kiew das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung leitet.

Marcel Röthig

Politologe

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Seit Juli 2017 leitet Marcel Röthig das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Ukraine und Weissrussland mit Sitz in Kiew. Er ist seit 2013 für die Stiftung tätig. Er hat Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Osteuropa in Berlin studiert und war Mitarbeiter von verschiedenen Abgeordneten des Deutschen Bundestages.

SRF News: Wie kommt das Gesprächs-Protokoll in der Ukraine an?

Marcel Röthig: Sicherlich war es nicht unerwartet, denn Selenski ist ein Politik-Quereinsteiger. Man hat sich sowieso gefragt, wie jemand mit so wenig politischer Praxiserfahrung auf Augenhöhe mit den Staats- und Regierungschefs dieser Welt spricht. Insofern wirkt es eher hemdsärmelig.

Das sorgte für ein wenig Verwunderung und Irritationen. Sätze wie «Ich lade Sie herzlich ein, in die Ukraine zu kommen» oder «Ich kann Ihnen auch gerne einen Platz in meinem Flugzeug geben, aber sie haben bestimmt ein besseres Flugzeug als ich» wirken schon fast komödiantisch – anders als ein tiefgehendes politisches Gespräch eigentlich sein sollte.

Wolodimir Selenksi und Donald Trump schütteln sich die Hand
Legende: Das Protokoll des Gesprächs zwischen Selenski und Trump irritierte viele Ukrainer. Keystone

Donald Trump hat erklärt, die EU – und Deutschland insbesondere – tue wenig bis nichts für die Ukraine. Dem hat Selenski zugestimmt. Was bedeutet das nun für die Beziehungen zwischen der EU und Kiew?

Tatsächlich ist Deutschland mit 1,4 bis 1,6 Milliarden Euro seit 2015 der drittgrösste Geber an die Ukraine – nach den USA und der Europäischen Union, wo Deutschland ja auch noch Mitglied ist. Insofern ist es faktisch nicht richtig.

Das Ganze wirkt natürlich nicht unbedingt freundlich und nett gegenüber den europäischen Partnern der Ukraine.

Und es gibt ja auch noch das politische Kapital, das die Bundesregierung in den letzten Jahren in die Waagschale geworfen hat, wenn es um Russland und die Sanktionen gegenüber Russland ging. Das Ganze wirkt natürlich nicht unbedingt freundlich und nett gegenüber den europäischen Partnern der Ukraine.

Gleichwohl ist man in Berlin und auch in Paris, denke ich, professionell genug, darauf gar nicht erst einzugehen. Die Bundesregierung hat das nicht weiter kommentiert. Ich glaube, sie wird es auch nicht kommentieren. Auch glaube ich, dass die Menschen in der Ukraine das ganz genau wissen. Und sie wissen auch den Einsatz der Bundesregierung sehr zu schätzen – allen voran der Einsatz der Bundeskanzlerin.

Nun könnte es sein, dass Joe Biden dereinst US-Präsident wird, was unangenehme Folgen für die US-amerikanisch-ukrainische Beziehung haben könnte...

Exakt. Für Selenski ist das Ganze ein Ritt auf der Rasierklinge, wo er eigentlich nie hinwollte. Wenn er jetzt Trump nachgibt, wenn die Ukraine also sehr offen mit den US-amerikanischen Behörden kooperiert und möglicherweise belastendes Material gegen den Sohn von Joe Biden weiterreicht, ist klar, dass es keine angenehme Partnerschaft wird, sollte Joe Biden Präsident werden.

Auf der anderen Seite: Sollten sich die Ukrainer weigern, mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten, droht natürlich, dass Präsident Trump das persönlich nimmt und möglicherweise seine Ankündigung wahrmacht, Hilfen für die Ukraine zurückzustellen oder zu kürzen. Allerdings: Wenn man Trumps Verhandlungstaktik in anderen Regionen der Welt – gegenüber Nordkorea, Iran oder auch gegenüber den anderen Nato-Partnern – kennt, sieht man: Da wird immer sehr viel gebrüllt, aber letztlich kommt dann auch sehr wenig dabei heraus.

Das Gespräch führte Andrea Christen.

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