US-Präsident Donald Trump und Ungarns Premier Viktor Orban haben die Antifa-Bewegung als Terrororganisation eingestuft. Sie drohen damit, alle Leute zu verfolgen, die diese Bewegung unterstützen. Der Historiker Richard Rohrmoser sieht das kritisch – denn nur ein sehr kleiner Teil der Antifa neige zu Gewalt, sagt er.
SRF News: Kann man einfach alle Leute als Terroristen klassifizieren, die sich unter dem Label «Antifa» gegen Faschismus engagieren?
Richard Rohrmoser: Nein, das ist nicht zulässig. Die antifaschistische Bewegung ist eine breite und sehr heterogene Bewegung aus vielen linken Strömungen, NGOs oder Parteien. Hinzu kommen viele Einzelpersonen, die gegen Faschismus und Rechtsextremismus auf die Strasse gehen.
Antifa ist ein Engagement gegen antidemokratische, rassistische oder rechtsextremistische Tendenzen.
Was ist der gemeinsame Nenner der Antifa?
Es ist ein Engagement gegen antidemokratische, rassistische, rechtsextremistische, antisemitische, sexistische oder geschichtsrevisionistische Tendenzen. Positiv formuliert: Es ist ein Eintreten für Freiheit, Gleichheit und Gleichwertigkeit der Menschen sowie für Gerechtigkeit.
War das schon bei der Gründung in den 1920er-Jahren durch die kommunistische Partei Deutschlands so?
Im Grunde, ja – auch wenn viele meinen, die Antifa-Bewegung habe sich erst nach 1968 gebildet. Ihre Entstehung in den 1920er-Jahren war ein Versuch der Linken, eine Einheitsfront aus Kommunisten, SPD, Gewerkschaften und Anarchisten zu bilden.
Die linke Einheitsfront scheiterte an der Machtübernahme Hitlers.
Es gab aber viele innerlinke Grabenkämpfe, und die Einheitsfront konnte sich nicht durchsetzen. Sie scheiterte schliesslich an der Machtübernahme Hitlers. Was folgte, waren alle die Erfahrungen im Nationalsozialismus wie der Zweite Weltkrieg und der Holocaust.
Warum finden Trump und Orban, die Antifa sei eine Terrororganisation?
Es gibt in der heterogenen Antifa-Bewegung durchaus gewisse Gruppen, die eine Gewaltbereitschaft an den Tag legen und das staatliche Gewaltmonopol nicht anerkennen. Und diese einzelnen Gruppen, die situationsbedingt zur Gewalt neigen, prägen in den Medien das Bild der Antifa. Das macht sich Trump jetzt zu eigen – er versucht, jener linken Bewegung, die gegen ihn ist, das Etikett der Antifa anzuhängen. So kann er gegen Oppositionelle aller Couleur vorgehen.
Verharmlosen Sie die Antifa nicht, wenn Sie sagen, dass nur einzelne Gruppen «situationsbedingt» zu Gewalt neigen?
Wenn man die gesamte Antifa-Bewegung anschaut, so neigt tatsächlich nur ein sehr kleiner Teil zu Gewalt. Der Gewaltvorwurf betrifft etwa nicht all diese vielen Leute, die letztes Jahr in Deutschland gegen die AfD und den Rechtsruck auf der Strasse demonstriert haben.
Doch alles in allem ist Antifaschismus kein Verbrechen, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Fakt ist: Es gibt innerhalb der Antifa das Problem der Gewalt durch einzelne Gruppen, und diese Gewalt hat in den letzten Jahren in Anbetracht der politischen Lage tatsächlich zugenommen. Doch alles in allem ist Antifaschismus kein Verbrechen, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Die Antifa-Bewegung ist keine organisierte Partei. Gibt es aber so etwas wie einen inneren Kreis, der den Ton angibt?
Nein, das sehe ich nicht. Das ist auch das Perfide an Trumps Dekret: Die Sicherheitskräfte können nun gegen jeden vorgehen, der sich einer Demonstration anschliesst und das Symbol der Antifa-Bewegung auf einem T-Shirt oder einem Pullover trägt.
Das Gespräch führte Iwan Liebherr.