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Textil-Produktion in der Krise Coronavirus bedroht Millionen Angestellte in Bangladesch

Modelabels stornieren derzeit fast alle Aufträge. Die schlecht bezahlten Textil-Arbeiter bekommen nun gar nichts.

In einem normalen Monat exportiert Bangladesch Textilien im Wert von bis zu drei Milliarden Dollar. Doch seit das Coronavirus auch die Modeindustrie infiziert hat, ist nichts mehr normal: Modelabels aus aller Welt haben schon jetzt Aufträge im Wert von drei Milliarden Dollar entweder storniert oder die Abnahme der Ware auf später verschoben.

Die Unternehmen begründen dies damit, dass sie überall Geschäfte schliessen müssten und ihr Umsatz einbreche, sagt Rubana Huq, die Präsidentin des Produzenten- und Export-Verbandes in Bangladesch. Sie sagt: «Wir wissen, dass das nur ein Ausnahmezustand ist, der irgendwann vorbeigeht. Aber wir haben schon jetzt ein Riesenproblem: Wenn wir nicht bezahlt werden, können wir auch unsere Angestellten nicht bezahlen.»

Wir haben ein Riesenproblem: Wenn wir nicht bezahlt werden, können wir auch unsere Angestellten nicht bezahlen.
Autor: Rubana Huq Präsidentin Produzenten- und Export-Verband Bangladesch

Rubana Huq appelliert an die Modefirmen, ihre Politik noch einmal zu überdenken. Es gehe nicht nur um die Fabriken, denen der finanzielle Ruin droht, sondern auch um die gut vier Millionen Textilarbeiter und -arbeiterinnen im Land. «Wenn wir sie nicht bezahlen können, droht das soziale Chaos.»

Auf die Frage, welche Modelabels die Aufträge storniert hätten, bleibt Unternehmensvertreterin Rubana Huq allgemein: «Ich kann Ihnen nur sagen, dass die allermeisten Unternehmen storniert haben, nur ganz wenige haben das nicht getan.»

Forderungen an die Textil-Unternehmen

Die globale Produktionskette von Textilien bricht also innert kürzester Zeit zusammen – wegen dem Coronavirus. Ein unhaltbarer Zustand, findet Christina Hajagos-Clausen von der globalen Industriegewerkschaft IndustriALL mit Sitz in Genf: «Die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Textilbranche sind ohnehin miserabel bezahlt. Rücklagen haben die Allermeisten nicht, sie leben von der Hand in den Mund.»

Rücklagen haben die Allermeisten nicht, sie leben von der Hand in den Mund.
Autor: Christina Hajagos-Clausen IndustriALL

Die Gewerkschafterin fordert von den Mode-Firmen, die normalerweise von den Billigst-Löhnen in Bangladesch profitieren, wenigstens die März-Löhne auszubezahlen. Man sei dazu in Verhandlungen mit rund 20 Unternehmen, darunter Tchibo, Lidl und der britischen Supermarktkette Tesco, sagt Christina Hajagos-Clausen.

Bangladesch und China sind die wichtigsten Textilproduzenten

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Bangladesch ist der zweitwichtigste Textilproduzent und -exporteur der Welt, nach China. In gut 4600 Textil-Fabriken nähen Millionen von Näherinnen und Nähern T-Shirts, Hosen und Jacken für grosse Mode-Labels in Europa, den USA und Kanada. Textilien machen mehr als 80 Prozent der Gesamt-Exporte von Bangladesch aus.

Derzeit sind für die Arbeiterinnen und Arbeiter der Textilbranche also viele Fragen offen: Ob sich einige Konzerne dazu überreden lassen, wenigstens die März-Löhne zu bezahlen ebenso, wie ob die bengalischen Textilfirmen einen Teil des angekündigten Rettungspakets ihrer Regierung an ihre Arbeiter weiterreichen werden.

Hoffen auf Umdenken nach der Krise

Gewerkschafts-Vertreterin Christine Hajagos-Clausen hofft, dass die Krise wenigstens mittelfristig zu einem Umdenken in der Textilbranche führen wird, also zu nachhaltigeren Modellen, die verhindern, dass die Lieferkette in der nächsten Krise wieder kollabiert.

Ob das nur Wunschdenken bleibt, wird nicht alleine vom Willen der Modefirmen abhängen, sondern auch von der Dauer der Krise – also davon, wie schnell die Modegeschäfte wieder öffnen können.

Info3, 05.04.2020, 17:00

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