Haie in den Strassen, filmreife Gewitterwolken und Nahaufnahmen von verängstigten Menschen, die von Überschwemmungen mitgerissen werden.
Solche gefälschten Inhalten tauchen bei Naturkatastrophen immer wieder auf – gerade dann, wenn die Zuschauer auf der ganzen Welt versuchen, die wahren Auswirkungen eines Ereignisses zu erkennen. Das war diese Woche nicht anders, als Hurrikan «Melissa», der als «Jahrhundertsturm» bezeichnet und als Kategorie 5 eingestuft wurde, durch die Karibik fegte und am Dienstag auf Jamaika traf.
Bereits vor dem Eintreffen des Sturmes wurde in den Nachrichten ausführlich über ihn berichtet. So blieb viel Zeit für findige Inhaltsersteller, altes Filmmaterial zu sammeln und neues Material auf generativen KI-Plattformen zu erstellen.
Einige der online verbreiteten Inhalte waren zwar authentisch – doch durch weitreichende Stromausfälle konnten viele Einheimische kaum selbst berichten. Diese Lücke nutzten andere: Auf Plattformen wie Tiktok kursierten zunehmend gefälschte oder irreführend dargestellte Beiträge, die das tatsächliche Ausmass der Katastrophe verzerrten.
Alte Videos mischen sich unter aktuelle Katastrophenbilder
Als «Melissa» am Dienstag in Jamaika auf Land traf, dominierte ein Tiktok-Video mit über 1.3 Millionen Aufrufen die Suchergebnisse zum Sturm. Gepostet wurde es vom Account @police.swat28 – einem Profil mit dem Logo «Tornado News USA», das ausschliesslich dramatisches Bildmaterial von Unwettern und Katastrophen verbreitet.
Solche Katastrophen-Accounts sind auf Tiktok weit verbreitet – und sie treten immer dann in den Vordergrund, wenn ein Sturm oder eine wetterbedingte Krise die Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Das virale Video bestand aus einer Reihe kurzer Clips, die zu einer dramatischen Kompilation zusammengeschnitten wurden. Die Analyse zeigt: Die meisten dieser Szenen stammen gar nicht von Hurrikan Melissa, sondern wurden bereits mehrfach zur Bebilderung anderer Stürme verwendet – wie eine umgekehrte Bildersuche mit Google Lens eindeutig belegt.
Mehrere Hinweise deuten darauf hin, dass die gezeigten Szenen nicht aus Jamaika stammen. Der Clip wurde mit dramatischem Ton – Gewitter, Regen, panische Schreie – unterlegt, der jedoch keinen Bezug zu den Bildern hatte. Zudem wurde das Video auffällig früh veröffentlicht, noch bevor die Auswirkungen des Sturms auf Jamaika überhaupt sichtbar waren. Die Mischung aus Tag- und Nachtaufnahmen wirkt beliebig, und in einem der Clips ist sogar eine US-Flagge zu sehen, die im Sturm flattert, während ein Baum aus dem Boden gerissen wird – ein weiteres Indiz für die Irreführung.
Tiktok und Co. stehen seit Langem in der Kritik, zu wenig gegen Fehlinformationen zu unternehmen. Zwar wurde das fragliche Video bereits am Folgetag entfernt – ob durch die Plattform oder den Nutzer selbst, blieb unklar.
Doch der gleiche Account veröffentlichte kurz darauf erneut ein Video mit bekannten Clips, die erfahrene Wetterbeobachter und Social-Media-Journalistinnen sofort als Material aus früheren US-Stürmen identifizieren konnten.
Einer der Clips tauchte auch in einem anderen Tiktok-Video auf, das später auf X geteilt wurde (hier archiviert) und dort über 370'000 Aufrufe erzielte. Es zeigt, wie das Dach eines Hauses vom Sturm weggerissen wird – eine Szene, die bereits in früheren Zusammenstellungen zu angeblichen US-Stürmen verwendet wurde.
Diese Flut von veralteten und falsch dargestellten Inhalten wurde gepostet, als der Hurrikan gerade zuschlug und traf dabei auf viele Social-Media-Nutzende, die nach Nachrichten über das Ausmass der Verwüstung suchten.
Der Hai im Sturm: Ein Meme, das nie verschwindet
Ein besonders hartnäckiges Phänomen taucht bei fast jedem Sturm wieder auf: Haie an Orten, wo sie nicht hingehören. Ob auf Strassen, in Gärten oder Schwimmbädern – die immer gleichen Bilder und Videos kursieren seit Jahren, oft recycelt aus früheren Katastrophen. Auch Hurrikan «Melissa» blieb davon nicht verschont: Dutzende KI-generierte Clips zeigten Haie oder ähnliche Kreaturen, lange bevor verlässliche Informationen aus Jamaika verfügbar waren.
Die Idee ist nicht neu: Das berühmte Bild eines Hais auf einer Autobahn kursiert seit über einem Jahrzehnt und wurde bereits bei Hurrikan Irene 2011 von Medien aufgegriffen – wie das US-Magazin «National Geographic» später herausfand. Solche Fakes wirken oft überraschend glaubwürdig – gerade wenn sie als Teil einer neuen Krisenerzählung wieder auftauchen. Haie sind zum Meme geworden, und ihr Auftauchen in Video-Clips sollte stets mit Skepsis betrachtet werden.