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Tod von Jovenel Moïse Festnahmen nach Präsidentenmord in Haiti

  • Nach der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse hat die Polizei nach eigenen Angaben sechs mutmassliche Täter verhaftet.
  • Zuvor hatte die Polizei bereits mitgeteilt, vier Verdächtige seien getötet worden. Nach Angaben eines Regierungssprechers stammten alle vier aus dem Ausland.
  • Die Hintergründe des Attentats bleiben zunächst jedoch unklar – ebenso wie die Nachfolge des Staatschefs.

Interims-Polizeichef Léon Charles sagte im Fernsehen, der Einsatz laufe noch. Die UNO-Sonderbeauftragte für den Karibikstaat, Helen La Lime, berichtete, dass Einsatzkräfte zwei Häuser in der Hauptstadt Port-au-Prince eingekreist hätten, in denen sich weitere Tatverdächtige aufhielten.

Mutmassliche Täter aus dem Ausland

Nach Angaben eines Regierungssprechers stammten die vier getöteten mutmasslichen Täter alle aus dem Ausland. Die US-Zeitung «Washington Post» berichtete unter Berufung auf den haitianischen Minister Mathias Pierre, einer der Festgenommenen sei ein US-Amerikaner haitianischer Herkunft.

Die Regierung des Karibikstaates rief am Mittwoch einen sogenannten Belagerungszustand aus. Das heisst, die Grenzen wurden geschlossen und es gilt Kriegsrecht. Ab Donnerstag herrscht zudem eine zweiwöchige Staatstrauer. Aussenminister Claude Joseph unterzeichnete beide Erlasse am Mittwoch als Übergangspremier. Moïse hatte am Montag Ariel Henry zu Josephs Nachfolger im Amt des Regierungschefs ernannt, Henry ist aber noch nicht vereidigt worden.

Offenbar koordinierter Angriff

Unbekannte waren in der Nacht zum Mittwoch (Ortszeit) in die Residenz des 53 Jahre alten Staatschefs Moïse in einem Vorort der Hauptstadt Port-au-Prince eingedrungen und hatten ihn erschossen. Seine Ehefrau Martine wurde verletzt und zur Behandlung in die rund 1000 Kilometer entfernte US-Stadt Miami gebracht, wie Haitis Botschafter in den USA, Bocchit Edmond, internationalen Medien sagte. Die Angreifer seien nach ersten Erkenntnissen Ausländer gewesen, die sich als Angehörige der US-Anti-Drogenbehörde DEA ausgegeben hätten.

Nach Angaben der haitianischen Botschaft in Washington handelte es sich um einen wohl koordinierten Angriff durch eine gut ausgebildete und schwer bewaffnete Gruppe. Joseph sagte in einer Ansprache an die Nation, die Täter hätten Englisch und Spanisch gesprochen. Haitianisches Kreol und Französisch sind Haitis Amtssprachen.

UNO-Sicherheitsrat warnt vor Eskalation

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Nach den tödlichen Schüssen auf Haitis Präsidenten Moïse hat der UNO-Sicherheitsrat die Politik in dem Karibikstaat zu Mässigung aufgerufen. Es gelte alles zu vermeiden, was die Lage weiter destabilisiere, erklärte der Sicherheitsrat. Alle politischen Kräfte müssten sich in Zurückhaltung üben. Der Sicherheitsrat verurteilte das Attentat auf Moïse und forderte die strafrechtliche Verfolgung der Angreifer. Am Donnerstag soll das UNO-Gremium hinter verschlossenen Türen über die Entwicklung in Haiti beraten.

Joseph rief dazu auf, die Ruhe zu bewahren. Die Lage sei unter Kontrolle. Der Flughafen von Port-au-Prince wurde geschlossen. Berichten zufolge waren in der Hauptstadt immer wieder Schüsse zu hören. Der sogenannte Belagerungszustand erlaubt es der Regierung unter anderem, das Militär für Polizeiaufgaben einzusetzen und Bürgerrechte einzuschränken.

Kein handlungsfähiges Parlament seit 1.5 Jahren

Haiti – das ärmste Land des amerikanischen Kontinents – steckte schon zuvor in einer tiefen politischen Krise. Da eine für Oktober 2019 vorgesehene Parlamentswahl unter anderem wegen heftiger Proteste gegen Moïse ausgefallen war, gibt es dort seit Januar 2020 kein handlungsfähiges Parlament mehr. Moïse regierte seither per Dekret.

Füllen kriminelle Banden das Machtvakuum?

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Die Lage in Haiti war schon vor der Ermordung des Präsidenten angespannt. Nun verschärft sie sich dramatisch. Journalistin Sandra Weiss blickt mit Sorge auf das Machtvakuum im Land. «Kollegen aus der Hauptstadt Porte-au-Prince berichten mir, dass das Land in Schockstarre sei. Fast niemand sei auf den Strassen, die Menschen würden sich zuhause einschliessen.»

Im Land grassiere die Angst vor Plünderungen und einer Eskalation der Gewalt. Denn schon in der Vergangenheit hätten Banden im krisengeschüttelten Land vergleichbare Situationen ausgenutzt, um die Kontrolle zu übernehmen. Ausser der Polizei, die durch die Strassen patrouilliere, herrsche denn auch gespenstische Stille in der Hauptstadt.

Weder Henry – der bereits der siebte Premierminister seiner Amtszeit gewesen wäre – noch Joseph und dessen Vorgänger Joseph Jouthe konnten daher verfassungsgemäss als Regierungschef bestätigt werden. Auch der Oberste Gerichtshof ist geschwächt. Der vorsitzende Richter René Sylvestre starb vor wenigen Wochen. Am 26. September stehen in Haiti Präsidenten- und Parlamentswahlen sowie ein Verfassungsreferendum an. Mit dem Referendum wollte Moïse die Rolle des Staatschefs stärken.

Proteste gegen Moïse haben Haiti in den vergangenen drei Jahren immer wieder lahmgelegt. Ihm wurden Korruption und Verbindungen zu gewalttätigen Banden vorgeworfen. Blutige Kämpfe solcher Banden um die Kontrolle über Teile von Port-au-Prince haben nach UNO-Zahlen seit Anfang Juni mehr als 14'700 Menschen in die Flucht getrieben.

SRF 4 News, 08.07.2021, 04:00 Uhr ; 

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