Der weltweit schnellste Marathonläufer ist tot: Der Kenianer Kelvin Kiptum ist bei einem Autounfall in Kenia ums Leben gekommen. Für den SRF-Leichtathletik-Experten und ehemaligen Langstreckenläufer Viktor Röthlin ist Kiptums Tod ein riesiger Schock. Er ist überzeugt, der 24-jährige Kiptum wäre auf dem besten Weg gewesen, der erste Mensch zu sein, der bei einem normalen Marathonrennen die Zwei-Stunden-Barriere hätte durchbrechen können.
SRF News: Kiptum war erst 24 Jahre alt und hatte den Marathon-Weltrekord bereits gebrochen. Wie ist er zum schnellsten Läufer der Welt geworden?
Viktor Röthlin: Das ist eine etwas spezielle Geschichte. Kelvin Kiptum ist von 0 auf 100 gestartet. Im März 2019 ist er das erste Mal international in Erscheinung getreten, beim Halbmarathon in Lissabon. Da lief er schon unter einer Stunde ins Ziel. Dann steigerte er sich beim Valencia-Marathon auf 58 Minuten und 42 Sekunden. Damit lief er die Strecke so schnell wie fast kein anderer. Dann, bei seinem Marathondebüt in Valencia, lief er die viertschnellste Marathonzeit aller Zeiten. Er ist aus dem Nichts gekommen und lief so schnell wie fast kein anderer. Und dann beim dritten Marathon: bereits ein Weltrekord.
Was steht, sind einfach diese unglaublichen Leistungen über die Halbmarathon- und über die Marathondistanz.
Er kam gemäss eigenen Aussagen aus dem Nichts. Er habe sich lange Zeit weder einen Trainer noch richtige Schuhe leisten können. Wie hat die Laufszene auf sein Erscheinen an der Spitze reagiert?
Natürlich mit Verwunderung, das war schon etwas ganz, ganz Spezielles, dass einer so aus dem Nichts kommt. Jedoch hatte er sich mit gewissen Aussagen etwas verstrickt. Er hatte nie einen Trainer – und dann gab es trotzdem einen Trainer, der ihn schon von klein auf trainiert hat. Das war eine etwas komische Geschichte und schwierig abzuschätzen, woher er wirklich kam. Aber was steht, sind einfach diese unglaublichen Leistungen über die Halbmarathon- und über die Marathondistanz. Und eben die Option, dass er der erste Mensch gewesen wäre, der einen normalen Marathonlauf ohne Pacemaker (Tempomacher, Anm. d. Redaktion) in unter zwei Stunden hätte schaffen können.
Warum sind kenianische Langstreckenläuferinnen und -läufer so erfolgreich?
Der Laufsport ist in der DNA der Kenianer drin. Es ist quasi DER Sport, der Nationalsport in Eldoret. Es gibt da Villenviertel, dort leben all die Läufer und Läuferinnen, die Erfolg haben und zu Millionären geworden sind. Sie haben dort ihre schönen Häuser gebaut, das wollen die Jugendlichen und Kinder auch. Es geht aber vor allem um die Höhenlage. In Kenia sind nicht alle Kenianer gut. Es sind schon vor allem die kenianischen Läufer, die in der Höhenlage von 2000 bis 2500 Metern über Meer auf die Welt gekommen sind und über Generationen dort gelebt haben.
Er ist aus dem Nichts gekommen und lief so schnell wie fast kein anderer.
Rechnen Sie damit, dass die Zwei-Stunden-Marke bald geknackt wird?
Kiptum hätte wirklich die besten Voraussetzungen gehabt. Beim Lauf in Chicago hatten noch 35 Sekunden gefehlt, am Schluss rannte er sehr viel alleine. In Rotterdam wollten sie ein Rennen auf ihn ausrichten – mit Pacemaker. Das hätte dort unter guten Bedingungen ziemlich sicher geklappt. Aber es gibt auch andere, die den Halbmarathon so schnell rannten wie er und die auch das Potenzial haben, diese Zwei-Stunden-Marke zu knacken.
Das Gespräch führte Marc Allemann.