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Trump ist weg – die Wut bleibt Die QAnon-Ideologie frisst sich weiter durchs Netz

Biden ist Präsident? Die QAnon-Verschwörer sind verwirrt. Doch ihre Ideen bleiben brandgefährlich, warnt ein US-Experte.

Die Amtseinsetzung von Joe Biden war ein Schock für jene Menschen in den USA, die an die Verschwörungstheorie von QAnon glauben. Sie waren überzeugt, dass es einen Staatsstreich geben werde, dass mit dem Demokraten abgerechnet würde – und Donald Trump an der Macht bleibe.

Doch nun hat die QAnon-Gläubigen die Realität eingeholt – und in den Chat-Räumen und sozialen Medien macht sich Verwirrung breit.

Q-Symbol vor Kapitol
Legende: Viele der militanten Trump-Anhängerinnen und -Anhänger, die am 6. Januar das Kapitolgebäude stürmten, gehören zum QAnon-Netzwerk. Getty Images

Seit Facebook, Instagram und Twitter die Konten von QAnon-Anhängern sperren, kommunizieren sie auf anderen Kanälen, wie auf der russischen Chat-Plattform Telegram.

Dieses Video wurde am Mittwoch dort anonym gepostet. Es heisst: Wie stiehlt man eine Wahl. Ein Mann kommentiert aus dem Off:

Beginnt mit einem Virus. Importiert ihn in die USA, hört nicht auf, darüber zu sprechen, ruft die Gouverneure an, schliesst die Wirtschaft, organisiert eine Briefwahl, entzündet den Rassenkrieg, stellt einen Kandidaten auf, schliesst ihn im Keller ein. Kapert die Wahllokale, manipuliert die Stimmen und ruft die Big-Tech-Typen an, tut als ob nichts geschehen sei.

Der Mann gehört zur Chat-Gruppe «The Great Awakening» mit über 40'000 Followern, wo sich frustrierte QAnon-Anhänger austauschen. «Als Biden ins Weisse Haus gezogen ist, ist für viele QAnon-Anhänger eine Welt untergegangen», sagt der Digitalforensiker und Terrorismusexperte Jared Holt von Atlantic Council.

Viele seien nach Bidens Amtseinsetzung in ihrem Glauben erschüttert worden. Aber die harten QAnon-Anhänger würden die Geschichte weiterentwickeln, dass Trump seine Aufgabe im grossen Plan bereits erfüllt habe, oder im Hintergrund weiter die Kontrolle behalte.

Trump und Biden im Oval Office
Legende: Ein Auto im Vorgarten des Oval Office? «Alles fake!», schliessen findige Verschwörer. Und suchen nach weiteren mehr oder minder eindeutigen Zeichen, dass nichts so ist, wie es scheint. Screenshot Telegram

«Am verbreitetsten ist die Idee, die Deadline einfach hinauszuschieben: Der 4. März wird als neues Datum genannt, an dem die Demokraten verhaftet und vor ein Gericht gestellt werden», sagt Holt. Auf Telegram kursiert die Theorie, dass Biden ein Schauspieler sei und sein Oval Office gar nicht echt, sondern ein Fernsehstudio. Alles ist möglich – ein Satz, den man immer wieder liest und hört.

Die Gefahr neuer Gewaltaktionen ist sehr real, je länger die Biden-Regierung im Amt ist.
Autor: Jared Holt Digitalforensiker

Die Bewegung dreht sich um die anonyme Figur Q. Er oder sie begann im Herbst 2017 im Internet angebliche Informationen zu streuen. Demnach würde ein Kreis von pädophilen Demokraten und Liberalen versuchen, Präsident Trump aus dem Amt zu putschen. Dieser, werde aber – laut Q – in einem grossen «Sturm» und unterstützt vom Militär die «Kabale» enthüllen.

Am 6. Januar kamen tausende QAnon-Kultanhänger hinter ihren Bildschirmen hervor und reisten nach Washington, um die Abwahl von Trump zu verhindern. Als sie das Kapitol stürmten, folgten sie der Prophezeiung von Q. Und dem Ruf von Donald Trump.

Trumps Entourage umgarnt Verschwörer

«Trump ist klar verantwortlich für den Aufstand», sagt Holt. Was am 6. Januar die extremistischen Gruppen und die anwesenden Trump-Wählerschaft zusammengehalten habe, seien die Lügen gewesen, die Trump und seine Verbündeten über die Demokratie erzählt hätten.

Trump ist zwar in Mar-A-Lago in Florida untergetaucht, aber seine Entourage ist aktiv in den neuen Chat-Foren, wie General Michael Flynn, Trumps Ex-Anwältin Sydney Powell, die keine Worte für das angeblich Böse findet, das sie sieht. Oder Donald Trump Junior, der auf Telegram seine Follower begrüsst.

Der Digitalforensiker Holt geht davon aus, dass viele extremistische Gruppen vor der Strafverfolgung Angst hätten, und sich im Moment still halten würden. «Aber die Gefahr neuer Gewaltaktionen ist sehr real, je länger die Biden-Regierung im Amt ist.»

Denn viele der gewaltbereiten Gruppen hätten darauf vertraut, dass Trump ihren Plan ausführen werde. Nun könnten sie das Gefühl haben, es sei an ihnen, das zu tun.

Echo der Zeit vom 27.01.2021, 18 Uhr

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