Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verkündete am Sonntag, seine Truppen hätten die syrische Stadt Afrin erobert. Das nächste Ziel sei die syrische Stadt Manbidsch. Wie passt das zum Völkerrecht, wenn ein souveräner Staat einen anderen besetzt? «Gar nicht», meint Norman Paech.
SRF News: Verletzt die Türkei in Afrin internationales Völkerrecht?
Norman Paech: Ja, das ist eine ziemlich grobe und offene Verletzung des Gewaltverbots. Es gibt keine Legitimation, kein Mandat des UNO-Sicherheitsrats dafür. Und auch auf Selbstverteidigung kann sich die Türkei nicht berufen, denn es gibt ganz offensichtlich überhaupt keine Angriffe auf die türkische Grenze seitens der syrischen Kurden. Und selbst wenn es so wäre, würde dies nicht legitimieren, was die Türken jetzt in Afrin anrichten.
Das ist meines Erachtens eine sehr zynische und eigentlich auch moralisch nicht vertretbare Politik.
Sie wollen die Besatzung dort verlängern und die Stadt als Ausgangspunkt für ein weiteres Vordringen in den Nordosten Syriens nutzen. Das heisst, es ist im Grunde eine ganz klare Völkerrechtsverletzung.
Welche Sanktionierungsmöglichkeiten gibt es für solche Fälle?
Eine Möglichkeit wäre eine ganz einfache Erklärung im Sicherheitsrat, in der man die Völkerrechtsverletzung verurteilt und Sanktionen androht. Man fordert, dass die Türkei ihre Truppen zurückbeordert und ihren Einsatz dort einstellt. Das wäre ein unmittelbarer Schritt. Und später wäre durchaus auch eine Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag möglich.
Wieso wird die jetzige Situation in Afrin offenbar geduldet?
Das Problem ist leider, dass man zwar immer von den Werten der Nato und des Westens redet. Aber wenn die unmittelbaren Interessen eines Nato-Partners berührt werden, handelt man nicht. Für Deutschland und die europäischen Staaten ist das Interesse daran, dass die Türkei die Flüchtlinge nicht über die Grenzen nach Europa lässt, wohl am dominantesten.
Das zentrale Problem für Erdogan ist in der Tat das Kurdenproblem. Er ist nicht bereit, es auf demokratische Weise zu lösen.
Ausserdem ist es wohl auch so, dass die Wirtschaftsinteressen, insbesondere in Bezug auf den Rüstungsexport, so gross sind, dass man sich hier zurückhält und denkt, man könne das aussitzen. Das ist meines Erachtens eine sehr zynische und eigentlich auch moralisch nicht vertretbare Politik.
Erdogans Plan ist eine entmilitarisierte Zone auf syrischem Boden. Er will dort syrische Flüchtlinge ansiedeln. Damit kämen auch arabische Flüchtlinge in kurdische Gebiete. Geht es ihm darum, die Kurden zu schwächen und ihnen ihr Gebiet wegzunehmen?
Das ist wohl das Ziel, denn Erdogan hat in seinem eigenen Land einen permanenten Krieg gegen die Kurden geführt. Er hat immer gesagt, ‹wir dulden sie nicht›. Nur sind sie hier in einem Land, über das er nicht verfügen kann. Syrien, das seine eigene Souveränität und seine eigene territoriale Integrität hat, ist nicht seine Sache. Aber das zentrale Problem für Erdogan ist in der Tat das Kurdenproblem, das er nicht bereit ist, auf demokratische Weise zu lösen, sondern immer nur militärisch.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.