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TV-Duell in der Türkei «Es geht um viel mehr als eine Bürgermeisterwahl»

Die Kandidaten fürs Bürgermeisteramt in Istanbul trafen in einem TV-Duell aufeinander. Einschätzungen nach der Debatte.

Worum geht es? Ekrem Imamoglu von der grössten Oppositionspartei CHP hatte die Bürgermeisterwahl in Istanbul am 31. März mit einem knappen Vorsprung gewonnen. Die hohe Wahlkommission annullierte die Abstimmung jedoch Anfang Mai wegen angeblicher Regelwidrigkeiten und gab damit einem Antrag von Präsident Recep Tayyip Erdogans AKP statt. Imamoglu verlor damit auch sein Mandat als Bürgermeister.

Wieso ist die Wahl am 23. Juni so brisant? Istanbul war 25 Jahre von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert worden. Die Niederlage für die AKP Ende März war auch ein Gesichtsverlust für den Präsidenten und AKP-Vorsitzenden Erdogan, der einst selbst Bürgermeister der Millionenmetropole gewesen war.

Menschen schauen auf Bildschirm.
Legende: Die Wahl bewegt die Massen in der Metropole. Keystone

Wer trat im TV-Duell an? : Eine Woche vor der Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul traten Ekrem Imamoglu von der CHP und der ehemalige Ministerpräsident Binali Yildirim der AKP aufeinander.

Gab es einen Sieger des TV-Duells? Beide hätten sich ordentlich und freundlich, aber bestimmt im Ton geäussert, erklärt SRF-Auslandredaktor Philipp Scholkmann. «Imamoglu wirkte aber insgesamt frischer und dynamischer als Yildirim.»

Was waren Themen des TV-Duells? Einen Grossteil der Debatte verbrachten Imamoglu und Yildirim damit, über die Gründe der Annullierung der Wahl zu diskutieren und sich diesbezüglich gegenseitig Vorwürfe zu machen. «Yildirim, der Mann von Erdogan, sprach von Stimmen, die gestohlen worden seien, ohne dafür aber Beweise vorzulegen», so Scholkmann. Imamoglu habe daran festgehalten, dass er bereits rechtmässig gewählt sei, es bei dieser Wahl also auch um die Achtung der Demokratie an sich gehen würde.

Mann mit Frau.
Legende: Ekrem Imamoglu mit seiner Frau vor dem TV-Duell. Ihm werden bei der Wiederholungswahl erneut gute Chancen zugeräumt. Reuters

Was hat sich seit der ersten Wahl im März geändert? Der erste Wahlkampf sei von der AKP sehr aggressiv geführt worden. «Präsident Erdogan stilisierte im März die Gemeindewahlen zur Schicksalswahl für die ganze Türkei empor.» Nun sei davon überhaupt nicht mehr die Rede, so Scholkmann. Die AKP diskutiere nun ebenfalls über Kinderkrippen, Jugendarbeitslosigkeit oder mehr Hilfen für Behinderte. «Die AKP begibt sich damit ganz auf das Terrain, das von Imamoglu bespielt wurde und bespielt wird. Das ist ein bemerkenswerter Wandel und kaum ein Zeichen der Stärke für die Regierungspartei.»

Was sind die grössten Unterschiede der beiden? Imamoglu argumentiert in Richtung eines Neubeginns. «Er hält der bisherigen Stadtverwaltung, die seit 25 Jahren von der AKP kontrolliert wird, Versäumnisse, Vetternwirtschaft und Korruption vor. » Yildirim habe stattdessen betont, wie sehr sich Istanbul unter der AKP modernisiert habe. Da liege ein Unterschied. Imamoglu habe unermüdlich betont, wie wichtig es sei, die Gräben zwischen Stadt und Land zu überbrücken. «Das Denken in Freund-Feind-Schema etwa, das ein Markenzeichen der Ära Erdogan ist, zu beenden», meint Scholkmann. Imamoglu würde diesen aggressiven Stil gezielt mit Lächeln, Optimismus und Appellen zur Versöhnung unterlaufen. «Das ist sein eigentlicher Clou.»

Mann winkt vor Kamera.
Legende: Binali Yildirim war bis 2018 Ministerpräsident der Türkei und gilt als enger Vertrauter von Recep Erdogan. Reuters

Was würde eine Niederlage für die AKP bedeuten? «Es wäre ein schwerer Schlag auf diesem symbolischen Terrain», so Scholkmann. Das sei auch die Stadt, in der Erdogan gross geworden sei und wo er herkomme. «Insofern geht es eben doch um viel mehr als um eine simple Bürgermeisterwahl.» Aktuelle Umfragen würden auf eine Niederlage für die AKP hindeuten, so Scholkmann, in der nächsten Woche könne aber noch viel geschehen.

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