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Polen: Zwischen Heldenverehrung und Opfermythos
Aus Echo der Zeit vom 30.08.2019. Bild: SRF. Roman Fillinger.
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Überfall auf Polen 1939 Wie ein Klavierspiel hunderte Juden rettete

Während des Zweiten Weltkriegs versteckten der Warschauer Zoodirektor Żabiński und seine Frau Flüchtende in ihrer Villa.

Wenn Antoninia Żabiński auf dem Klavier Offenbach spielte, löste das in der Direktorenvilla in Warschau Panik aus. Offenbach hiess: Die Nazis sind da. Im Keller, dort wo früher Tierfutter gelagert wurde, versteckten die Żabińskis Juden.

Olga Swonikowska, die Besuchern heute die Villa zeigt, steht im dunklen Keller. Sie zeigt auf ein kaum schulterbreites Loch in der Wand. «Bis zu 30 Menschen mussten einer nach dem anderen durch diesen zwölf Meter langen Tunnel in den Garten kriechen. Alte, Kinder, Kranke.» Immer im Wissen: Ein falsches Geräusch, und die Nazis bringen alle um.

Solange die Nazis da waren, versteckten sich die Flüchtenden in leeren Tierkäfigen. Die meisten Zootiere waren bereits im September 1939 beim ersten deutschen Bombardement von Warschau umgekommen.

300 Juden retteten die Żabińskis. Einige versteckten sie über Jahre, andere nur ein paar Tage, bis sie gefälschte Papiere hatten und weiter konnten. Möglich war das alles nur, weil der Zoo geschlossen war. Jan Żabiński hatte den Nazis angeboten, für sie auf dem Zoogelände Schweine zu züchten.

Das verschaffte ihm Zugang zum Warschauer Ghetto. Er sammelte dort Abfall als Futter für seine Schweine – und schmuggelte Juden heraus. Die Schweinefarm und ein Gemüsegarten halfen zudem, ein grosses Problem zu lösen: Wie beschafft eine dreiköpfige Familie in Kriegszeiten Essen für 30 Personen – ohne aufzufallen?

Jan Zabinski mit einem Affen
Legende: Jan Żabiński war ein angesehener Zoologe. WIKIMEDIA COMMONS

Żabiński hatte den Warschauer Zoo mitbegründet. Die Nazi-Besatzer ernannten ihn zum Chef über alle städtischen Parkanlagen. Was gab diesem Mann und seiner Frau den Mut, ihr Leben und das ihres Sohnes aufs Spiel zu setzen? «Er sagte, er habe diesen Leuten geholfen, weil sie Hilfe brauchten. Punkt», so Swonikowska.

1944 half Żabiński auch beim Warschauer Aufstand gegen die Nazi-Besatzer. Er baute Bomben und kam in deutsche Kriegsgefangenschaft. Żabiński überlebte. Baute nach dem Krieg den zerstörten Zoo wieder auf. Doch er überwarf sich mit den inzwischen regierenden Kommunisten. Er wurde gefeuert, durfte «seinen» Zoo nie mehr betreten.

Für die Rettung der Juden wurden die Żabińskis in Israel geehrt, im kommunistischen Polen aber vergessen. «Als Żabiński vor gut 40 Jahren starb, sprach niemand über ihn. Erst heute werden Leute wie er und seine Frau wieder als Helden gefeiert», sagt Swonikowska.

Antonina Zabinski
Legende: Antonina Żabiński war für die überlebenden Juden die wahre Heldin. Roman Fillinger/SRF

Die Überlebenden aus dem Keller der Zoovilla erinnerten sich vor allem an Antonina Żabiński. Sie sei hier die ganz grosse Heldin gewesen, sie habe die Nazi-Kontrolleure ausgetrickst. Waren die Nazis wieder weg, konnten die versteckten Juden also wieder zurück in den Keller, dann spielte sie erneut Klavier – Musik von Chopin, dem berühmtesten polnischen Komponisten.

Polen zwischen Heldenverehrung und Opfermythos

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Legende: Imago

Die nationalkonservative Regierungspartei PiS zeichnet gerne das Bild der Helden, die sich gegen die deutschen Besatzer auflehnten und verfolgte Juden retteten. Andere betonen den weitverbreiteten Antisemitismus auch unter der polnischen Bevölkerung. SRF-Korrespondentin Sarah Nowotny über Schuldgefühle und eine nicht geführte öffentliche Diskussion.

SRF News: Wie zeigt sich die von der Regierung vorangetriebene Heldenverehrung?

Sarah Nowotny: Die PiS übernimmt zunehmend die Kontrolle über Gedenkstätte und Museen. Vor ein paar Wochen hat die Regierung Westerplatte an sich gerissen. Mit der Begründung, das Heldentum der Polen werde zu wenig gezeigt und die Gedenkstätte verlottere, hat sie Danzig – dort regiert die Opposition – die Gedenkstätte entrissen.

Werden die polnischen Taten trotz Widerstand der Regierung dargestellt?

Ja. Es gibt in Polen eine unabhängige Geschichtsforschung. So weiss man, dass es mit der Heilig-Kreuz-Brigade eine polnische Untergrundorganisation gab, die auch Juden umbrachte. Oder, dass im Städtchen Jedwadne Polen – und nicht Deutsche – Juden in einer Scheune angezündet haben. Aber eine wirkliche öffentliche Diskussion findet nicht statt.

Woran liegt es, dass Polen keinen nüchternen Umgang mit der eigenen Geschichte findet?

Polen hat ungewöhnlich stark gelitten. Das Land war über hundert Jahre kein eigener Staat. Deshalb gibt es seit langem eine Heldenverehrung. In Warschau etwa können Kämpfer des Warschauer Aufstands 1944 seit jeher gratis Tram und Bus fahren.

Unter den Sowjets wurde daraus ein Opfermythos. Viele Polen haben von der Vernichtung der Juden profitiert – auch solche, die nicht mit den Nazis kollaborierten. Sie konnten Häuser, Höfe, Fabriken von toten Juden übernehmen und ein neues Leben anfangen. Da war bestimmt viel Schuldgefühle dabei. Und ein solcher Opfermythos überdeckt diese ganz gut.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

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