Die Augen Chinas: In der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong wird die Überwachung der Menschen massiv ausgebaut. Dafür sollen Zehntausende Kameras sorgen, ausgerüstet mit KI-Gesichtserkennungssoftware, also biometrischer Fernidentifizierung. Noch sei nicht ganz klar, wie umfassend die nationalen Sicherheitsbehörden aus China auf diese Daten direkt zugreifen, sagt der freie Journalist Fabian Kretschmer in Südkorea. Die Rede ist von 60'000 Kameras bis zum Jahr 2028.
Der Vergleich zu Peking: Der geplante Ausbau in Hongkong sei riesig im Vergleich zu vielen europäischen Städten, so Kretschmer. Für ostasiatische Verhältnisse wiederum sei Big Brother in Hongkong noch nicht so umfassend wie in vielen chinesischen Städten. Die Hauptstadt Peking zählt nach konservativen Schätzungen mindestens 1.2 Millionen Kameras. «Zu meiner Zeit in Peking habe ich auf dem Weg zur U-Bahn-Station über 50 Gesichtserkennungskameras gezählt – auf einer Strecke von gut 200 Metern», sagt Kretschmer. Dort sei im öffentlichen Raum tatsächlich kein Schritt mehr möglich, ohne von Kameras erfasst zu werden.
Der Einsatzzweck: China begründet den grossräumigen Einsatz der Überwachungskameras mit der Strafverfolgung. Kriminelle sollen identifiziert und rasch gefasst werden. Kameras im öffentlichen Raum haben tatsächlich dazu geführt, dass in vielen ostasiatischen Städten die Gewaltkriminalität zurückgegangen ist, wie Kretschmer sagt. Eine abschreckende Wirkung und bessere Resultate bei der Strafverfolgung seien also nachweisbar.
Die Kehrseite: Das politische Missbrauchspotenzial durch solche Kameras mit Gesichtserkennung gerade in autoritären Systemen ist anderseits offensichtlich, wie Kretschmer erinnert. Dies vor dem Hintergrund, dass Peking den Einfluss auf Hongkong ständig erhöht und die Autonomie schrittweise einschränkt. Ein Blick auf Peking bei den letzten grossen Protesten gegen Ende der Null-Covid-Massnahmen hat gezeigt: Die Tausend meist jungen Leute tauschten in den Büschen noch die Jacken, trugen Baseball-Kappen und Gesichtsmasken. Trotzdem wurden sie allesamt innerhalb von einem bis zwei Tagen identifiziert und von der Polizei vorgeladen. «Die Kameras mit der Gesichtserkennung sind so gut, dass man ihnen nicht entkommen kann», so Kretschmer.
Die Einschätzung: Die Installation der neuen Überwachungskameras in Hongkong dürfte laut Kretschmer keinen direkten Einfluss auf den Alltag der Menschen haben. Die Leute seien ohnehin bereits eingeschüchtert. Kritik gegen Peking werde nicht mehr öffentlich geäussert, weil das strafbar sei. In Peking würden selbst Ein-Personen-Proteste nicht geduldet. Ein Beispiel sei der Gedenktag an das Tiananmen-Massaker, der in Hongkong jeweils gross begangen wurde. Die zusätzlichen Kameras würden in Hongkong deshalb wohl keinen grossen Unterschied machen. Das Regime in Peking gehe mit den Kameras offenbar auf Nummer sicher, um allfällige Mobilisierungen früh erkennen zu können, schätzt der freie Journalist Fabian Kretschmer ein.