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Ukraine-Konflikt «Viele Ukrainer fragten mich, ob Putin jetzt verrückt sei»

In der Ukraine werden die jüngsten Entwicklungen mit Sorge beobachtet. Der Journalist Denis Trubetskoy erklärt, wie er die Situation in Kiew erlebt und wie die Bevölkerung damit umgeht, dass Putin nun Truppen in die Ostukraine schickt.

Denis Trubetskoy

Freier Journalist in Kiew

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Der in Sewastopol auf der Krim geborene Journalist Denis Trubetskoy arbeitet in der ukrainischen Hauptstadt Kiew für diverse deutsche und russischsprachige Medien. Er berichtet für diese über Politik und Sport.

SRF News: Haben die Leute jetzt Angst vor einem Krieg?

Denis Trubetskoy: Das kann man kaum in einem Satz beantworten. Ein offener Krieg ist natürlich eine Sache. Dass die Menschen in der Ukraine insgesamt mit diesem Konflikt aber seit acht Jahren konfrontiert sind, ist eine andere. Besorgnis ist natürlich schon da. Die Angst hat jedoch nicht unmittelbar mit der am Montag von Putin verkündeten Anerkennung der selbsternannten Volksrepubliken zu tun. Der Schritt lag schon eine Weile in der Luft, weil die Aussichten für die Umsetzung des Minsker Abkommens relativ schlecht waren.

Panik ist in Kiew nicht wirklich zu sehen.

Es ist vielmehr die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die die Menschen verunsichert – inhaltlich kam da zwar wenig Neues, aber der Ton und die Art und Weise waren neu. Viele Menschen fragten mich, ob Putin jetzt verrückt sei. Aber Panik ist hier nicht wirklich zu sehen.

Ein Mann und eine Frau in einer Wohnung vor dem TV, Rede von Putin
Legende: Den Luftschutzkeller mit Notrationen füllen, oder doch normal arbeiten und einkaufen gehen? Die Leute in Kiew erleben Anspannung im Alltag. Keystone

Ist im Alltag etwas zu spüren von der Bedrohung?

Zumindest hier in Kiew kann man die Pläne, wo sich die Luftschutzbunker befinden und Ähnliches jetzt per Mausklick nachlesen. Schulen und die Kindergärten erhalten Anweisungen, wie sie im Ernstfall damit umgehen sollten. Das ist ziemlich neu. In den acht Jahren des Konflikts war das bisher nicht so zu spüren.

Reagieren die Leute in Kiew anders als auf dem Land?

Es gibt keine Hamsterkäufe, keine Schlangen vor Bancomaten. Auch die Lage an Bahnhöfen und Flughäfen ist relativ entspannt. Aber die Menschen in der Nähe der Konfliktregion sind wohl etwas besorgter als jene hier in Kiew.

Es gibt keine Hamsterkäufe, keine Schlangen vor Bankautomaten. Auch die Lage an Bahnhöfen und Flughäfen ist entspannt.

Jene, die all die Jahre unmittelbar im Konflikt verbracht haben, verstehen gut, womit sie es zu tun haben. Sie haben viel Erfahrung damit. Und je weiter man davon entfernt ist, desto weniger versteht man, womit man es zu tun hat.

Wie reagieren die Menschen in Russland?

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Mit der Rede Wladimir Putins am Montagabend hat der Konflikt in der Ukraine ein neues Niveau erreicht. Das beschäftigt auch die Menschen in Russland. Die freie Journalistin Inna Hartwich hat sich in Moskau umgehört.

Wie hat die russische Bevölkerung auf Putins Rede reagiert?

Die Rede hat den Menschen die Augen geöffnet. Sie haben ihren Ohren und Augen nicht trauen können, was da vor sich gegangen ist. Es ist nun das Thema dieser Tage. Der Ukraine-Konflikt spielte vorher kaum eine Rolle.

Was halten die Menschen in Russland von den Plänen ihres Präsidenten?

Es kommt immer darauf an, mit wem man spricht. Ich glaube, die meisten haben vor allem Sorgen vor wirtschaftlichen Nöten. Sie sind erstens besorgt wegen der Sanktionen. Zweitens auch, weil sie verstehen, dass der Donbass Russland einiges kosten wird. Es macht ihnen Sorgen, dass die Lebensmittelpreise steigen, dass sie womöglich ihre Söhne in den Krieg ziehen lassen müssen. Sie können es nicht so richtig fassen, warum ihr Präsident diesen Schritt getan hat. Auch Menschen, die durchaus hinter Putin stehen, die vieles gutheissen, was hier geschieht, sind sehr verwirrt.

Haben die Russen mehr Angst vor den Sanktionen oder vor einem Krieg?

Momentan tatsächlich mehr vor den wirtschaftlichen Folgen, weil der Krieg immer noch so weit entfernt ist und weil es nicht klar ist, was diese Rede von Putin letztlich heisst. Sie war eine Kriegserklärung. Aber die Hoffnung, dass Russland nicht morgen Kiew bombardiert, ist durchaus vorhanden.

Was befürchtet die russische Bevölkerung durch diese Sanktionen?

Sie befürchten vor allem steigende Lebensmittelpreise, dass sie viel schwerer irgendwo hinreisen können und dass man sie auch im Ausland als ‹den bösen Russen› ansieht. Aber vor allem fürchten sie, dass die Buchweizenpreise steigen. Buchweizen ist ein sehr traditionelles Lebensmittel hier. Und sie haben die Sorge, dass sie sich kein besseres Leben leisten können.

In der Ukraine gibt es prorussische und proeuropäische Seiten. Hat sich das durch die Ereignisse verändert?

Die klassische These, dass es in der Ukraine eine Ost-West-Teilung gibt, hat sich schon 2014 vollkommen erledigt. Es ist nicht so, dass man innerhalb des Landes keine inhaltlichen Differenzen mehr hätte. Aber mit Blick auf Russland sind sich die Menschen inzwischen ziemlich einig, egal ob sie in Kiew, in der Ostukraine oder in Lwiw in der Westukraine leben. Von daher sind die prorussischen Strömungen eigentlich recht marginal.

Eigentlich hat die Ukraine unter diesen Umständen ja keinen anderen Ausweg als den europäischen und westlichen Weg.

Aber auch europäische Strömungen sind jetzt nicht überzubewerten, denn eigentlich hat die Ukraine unter diesen Umständen ja keinen anderen Ausweg als den westlichen Weg. Das ist alles sehr kompliziert.

Fühlt man sich in der Ukraine genug unterstützt?

Solange sich der Westen im Ernstfall nicht militärisch einmischt, würden sich die Menschen wahrscheinlich nicht genug unterstützt fühlen. Ich werde auch gefragt: ‹Wird uns jemand unterstützen oder sind wir jetzt allen egal?› Ich glaube, die Antwort ist einfach irgendwo in der Mitte.

Dass ausländische Botschaften ihr Personal reduziert haben, wurde als schlechtes Signal wahrgenommen.

Dass zum Beispiel viele ausländische Botschaften ihr Personal reduziert haben, wurde hier als schlechtes Signal wahrgenommen. Man fühlte sich ein bisschen allein gelassen. Aber aktuell sieht es wieder ein bisschen anders aus. Es gibt ja durchaus auch positive Signale, die die Menschen hier wahrnehmen.

Das Gespräch führte Nina Gygax.

SRF 4 News aktuell vom 23.02.2022, 06:45 Uhr ; 

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