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Ukraine-Krieg und Spionage Wenn die CIA frustrierte Russen willkommen heisst

Der Spionage-Chef des US-Auslandgeheimdienstes CIA, David Marlowe, hatte letzte Woche einen bemerkenswerten Auftritt, als er öffentlich russische Agenten anwarb: Die CIA schaue sich auf der ganzen Welt nach Russen um, die angewidert vom Krieg in der Ukraine seien. Einschätzungen von Spionageexperte Erich Schmidt-Eenboom.

Erich Schmidt-Eenboom

Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim (De)

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Schmidt-Eenboom ist Experte für Geheimdienste. Er forscht dazu und hat mehrere Bücher zum Thema publiziert, unter anderem über den deutschen Bundesnachrichtendienst (BND).

SRF News: Ist die Unzufriedenheit vieler Russinnen und Russen mit der Invasion in die Ukraine ein fruchtbarer Boden für westliche Geheimdienste?

Erich Schmidt-Eenboom: Für die CIA ist es wegen der massiven Spionageabwehr ungemein schwer, in der Russischen Föderation Agenten zu rekrutieren. Das Risiko für einreisende CIA-Agenten ist sehr hoch wegen hoher Haftstrafen und die CIA-Residentur in Moskau ist ständiger Observation ausgesetzt. So nehmen die westlichen Dienste traditionell russische Auslandsreisekader ins Visier, aber auch Flüchtlinge und Überläufer im westlichen oder neutralen Ausland.

Wie werden solche Personen gezielt angeworben?

Unter anderem im neutralen Ausland, etwa in Peking, wo der CIA-Mann den Vertreter des russischen Nachrichtendienstes kennt. Man trifft sich auf Empfängen, sendet Signale und hofft und lotet potenzielle Putin-Gegner aus. Die Priorität liegt aber wohl zurzeit ganz klar bei den Oligarchen, die seit längerem mit dem Kremlchef wegen der Sanktionen unzufrieden sind. Sie haben ein tiefes Wissen über das Wirtschafts- und Bankenleben und auch Einblick in die Umgehungs- und Verschleierungsstrategien.

CIA-Hauptquartier in Langley.
Legende: Das Hauptquartier des US-Auslandsgeheimdienstes liegt in Langley in Fairfax County, Virginia, in der Nähe von Washington, D.C. Keystone/AP/Scott Applewhite

An zweiter Stelle stehen Militärattachés und Mitarbeiter des Militärnachrichtendienstes GRU, die ebenfalls mit Putin hadern, weil er so viele abgesetzt und zu Sündenböcken erklärt hat. Putin hat aber auch seinen Auslandsnachrichtendienst SWR vor den Kopf gestossen, indem er bei der Kriegsvorbereitung und -führung nur auf den Inlandsnachrichtendienst FSB gesetzt hat.

Der Aufruf der CIA ist erst einmal ein starkes Signal an die Unzufriedenen unter Putins Macht.

Spielt der Aufruf der CIA nicht dem Kreml in die Hände, der gezielt Doppelagenten losschicken kann?

Das ist das traditionelle Risiko. Der Aufruf der CIA ist aber erst einmal ein starkes Signal an die Unzufriedenen unter Putins Macht. Auch weiss man aus den 1980er- und 1990er-Jahren, dass es ausgesprochen schwierig ist. Denn Russen haben in der Regel eine sehr hohe Vaterlandsliebe, selbst wenn sie Putin-Gegner sind. Sie wissen zudem, dass ihren Familien Sippenhaft droht, wenn sie für die USA spionieren.   

Was tut die russische Seite für ihre Spionagefähigkeit?

Die Serie von Ausweisungen von russischen Scheindiplomaten beziehungsweise Nachrichtendienstlern quer durch Europa schwächte die russische Spionage nachhaltig. Das ist immer doppelschneidig, denn die Russen schicken neue Kultur- und Handelsattachés, die dann zuerst geprüft werden müssen, während die alten bekannt waren.

Läuft parallel zum Krieg in der Ukraine ein Krieg der Spionage?

Den gibt es seit der russischen Annexion der Krim 2014, als die westlichen Nachrichtendienste ihre Unterstützung für die Ukraine stark verbesserten: Die Briten schickten bereits 2014 Spezialeinsatzkräfte in die Ukraine. Der Bundesnachrichtendienst verstärkte die Ausbildungshilfe ab 2016. Die CIA ist die Hauptkraft bei der Beratung der ukrainischen Geheimdienste, der Absicherung von Präsident Selenski und der Weitergabe von Informationen. Die grossen Erfolge der ukrainischen Streitkräfte wären kaum erklärbar, wenn sie sich nicht auf westliche Satellitenaufklärung, Zielvorgaben und Spionageerkenntnisse verlassen könnten.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 26.11.2022, 18:00 Uhr ; 

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