Am Freitag treffen sich US-Präsident Trump und der russische Machthaber Putin in Alaska. Thema: Der Krieg in der Ukraine. In den letzten Tagen wurden dazu auch mögliche Gebietsabtretungen zwischen der Ukraine und Russland ins Spiel gebracht. Doch Präsident Selenski machte inzwischen klar: «Die ukrainische Bevölkerung wird ihr Land nicht dem Besatzer schenken.» Die ukrainische Sicht schildert der Journalist Denis Trubetskoy in Kiew.
SRF News: Warum ist die Abtretung von ukrainischem Gebiet an Russland für Kiew keine Option?
Denis Trubetskoy: Die Ukraine ist bereit für einen bedingungslosen Waffenstillstand, bei dem die Front vorerst eingefroren würde. Für die Mehrheit der Ukrainerinnen und Ukrainer kommt es allerdings überhaupt nicht infrage, dass man russisch besetzte Gebiete in der Ukraine als russisch anerkennt. Das wäre nicht nur für Präsident Selenski, sondern für jeden Politiker im Land politischer Selbstmord.
Russland schliesst einen bedingungslosen Waffenstillstand aber aus...
Moskau wird wohl erst für einen echten Waffenstillstand bereit sein, wenn die russische Armee an der Front gar nicht mehr vorankommt oder sich die russische Wirtschaftslage massiv verschlechtern würde.
Es überrascht, wie viele Vertragssoldaten Moskau noch immer mobilisieren kann.
Beides scheint derzeit nicht in Sicht zu sein – auch wenn offen bleibt, wie viele Ressourcen Russland für den Krieg noch mobilisieren kann und wie rasch es auf dem Schlachtfeld in nächster Zeit vorankommt. Überraschend ist, dass Moskau immer noch und stetig so viele Vertragssoldaten mobilisieren kann.
Die Front ist praktisch eingefroren, es sieht auch nicht danach aus, als ob die ukrainische Armee eine Gegenoffensive starten könnte. Müsste da Kiew nicht an Gesprächen mit Moskau interessiert sein?
Das Problem: Die Ausgangslage lässt keinerlei Gebietskompromiss zu. Die Ukraine darf laut Verfassung gar keine Gebiete abtreten, und Russland hat die vier ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischja und Cherson sowie die Krim absolut völkerrechtswidrig als russisches Gebiet annektiert. Diese territoriale Angelegenheit wird wohl auf Jahrzehnte hinaus ungeklärt bleiben.
Wieso sollte Moskau plötzlich nicht auch Kiew oder Charkiw als russisch erklären?
Russland hat völlig willkürlich Städte wie Saporischja mit einer halben Million Einwohner einfach als russisch erklärt – da stellt sich die Frage: Wieso sollte Moskau plötzlich nicht auch Kiew oder Charkiw als russisch erklären? Deshalb kann die Ukraine grundsätzlich nicht auf russische Gebietsforderungen eingehen.
Wie steht es um die Kriegsmüdigkeit in der Ukraine?
Der Begriff «Kriegsmüdigkeit» ist sehr westlich geprägt – und suggeriert, dass wir Ukrainer den Krieg womöglich einst genossen hätten. Tatsache ist: Der Angriffskrieg Russlands ist katastrophal für die Ukraine, die in letzter Zeit verstärkten Angriffe mit Drohnen und Raketen auf zivile Ziele macht alles nochmals schwieriger.
Nicht jeder will an der Front kämpfen und womöglich sterben.
Das erklärte strategische Ziel Russlands ist, die Ukraine in ihrer Existenz zu vernichten. Und unter dieser Voraussetzung hat die Ukraine keine andere Wahl, als Widerstand zu leisten. Dabei ist ein Krieg ein sehr ambivalenter Zustand: Der gesunde Menschenverstand sagt klar, dass die Fortsetzung der Mobilmachung im Krieg mit einem solchen Feind alternativlos ist. Gleichzeitig will aber auch nicht jeder an der Front kämpfen und womöglich sterben. Ähnliche Beispiele der Ambivalenz gibt es zuhauf im Krieg. Doch zum Widerstand gibt es keine Alternative.
Das Gespräch führte Nicolas Malzacher.