Auf dem Bazar in Urumqi liegen Gewürze und Teppiche aus. Händler feilschen mit Touristen. Wären da nicht die chinesischen Zeichen – man könnte sich fast in einem Touristenort am Mittelmeer wähnen. Nur fast: Am Eingang kontrollieren Polizisten die Ausweise der Besucher, Taschen werden geröntgt. Soldaten marschieren in der Fussgängerzone. Uigurische Verkäufer hier zu interviewen, undenkbar.
Auch auf den Strassen ausserhalb des Touristenbazars: Überwachungskameras an jeder Ecke. Vor Wohnhäusern stehen Geräte zur Gesichtserkennung. Metalldetektoren stehen vor Supermärkten, Kaufhäusern und vor dem Gemüsemarkt. Das ständige Piepsen begleitet den Alltag der Menschen.
Etwas ruhiger ist es in einem uigurischen Kaufhaus. In den oberen Etagen hat es kaum Kunden. Ein Fernseher läuft, Kinder spielen im dunklen Gang. Ein älterer Verkäufer sitzt in einer Ecke, er habe kaum noch Kunden, beklagt er sich. «Wie die Situation in Xinjiang ist, wollen Sie wissen?» Er senkt seine Stimme. «Was soll ich Ihnen da schon sagen». Ja, er habe Angst. Ich solle doch die Regierung fragen, wo all die Leute hin seien. «Es ist nicht gut, wenn ich mich dazu äussere, verstehen Sie was ich meine?»
Abdul ist nervös und spricht dennoch mit uns
Erst am Abend finde ich einen uigurischen Mann, der sich dazu äussert. Nennen wir ihn Abdul. Er stammt aus dem Süden Xinjiangs, versucht sich in Urumqi als Fahrer über Wasser zu halten. Das Gespräch findet in seinem verstaubten Toyota statt. «Uiguren müssen ins Gefängnis, die Chinesen sammeln uns einfach ein. Auch mein jüngerer Bruder ist im Gefängnis, bereits seit zwei Jahren. Was dort genau passiert, wissen wir nicht.»
Abdul ist nervös, zündet sich eine Zigarette nach der anderen an. Er spricht Uigurisch und Englisch, aber nur gebrochen Chinesisch. «Die Regierung sagt, viele Uiguren könnten kein Chinesisch. Deshalb müssen sie jetzt im Gefängnis Chinesisch lernen.»
Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sprechen jedoch von Insassen, die nicht nur Chinesisch lernen, sondern auch die Partei loben müssten – von einer Massenindoktrinierung ohne rechtliche Grundlage – in sogenannten Umerziehungslagern. «Zeugen haben uns von Misshandlungen berichtet. Sie dürfen dort nicht beten, sie dürfen dort nicht ihre eigene Sprache sprechen. Einige Zeugen haben das Erlebte als so erniedrigend empfunden, dass sie sich überlegten, sich das Leben zu nehmen», erklärt die China-Direktorin von Human Rights Watch, Sophie Richardson.
Es gibt in China keine rechtlichen Grundlagen, um die Menschen auf diese Weise einzusperren.
Auch die Uiguren, die nicht in den Lagern sässen, bestätigt Abdul, dürften ihre Religion nicht mehr frei ausüben. «Noch vor zwei Jahren konnten wir jeden Tag beten. Doch das ist jetzt vorbei, wer betet, riskiert ins Lager zu kommen.»
«Es gibt in China keine rechtlichen Grundlagen, um die Menschen auf diese Weise einzusperren. Nicht einmal das Anti-Terrorgesetz sieht einen solchen Freiheitsentzug vor», beklagt sich Richardson weiter. Human Rights Watch fordert die chinesischen Behörden auf, diese Lager sofort aufzulösen. Dieser Terror, den die Menschen dort erleben, helfe Chinas langfristigem Ziel von Stabilität sicher nicht.
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Über die genaue Zahl der Umerziehungslager kann Human Rights Watch keine Angaben machen. «Dies können wir erst machen, wenn die chinesische Regierung unabhängige Beobachter ins Land lässt, internationale Experten, etwa von der UNO», betont Richardson.
Während der Fahrt schaut Abdul ständig auf sein Handy. Denn: Die Polizei kann die Handys der Menschen hier nach Gutdünken beschlagnahmen und durchsuchen. Arabische Zeichen, sagt Abdul, würden bereits als suspekt gelten. Direkt mit ausländischen Journalisten zu sprechen, ist riskant. Abdul hält sein Auto deshalb ein paar hundert Meter vor meinem Hotel an.
Ausländische Journalisten sind oft unerwünscht
Gegen Mitternacht meldet sich die Rezeption. Journalisten dürften hier nicht übernachten, und man stellt mich samt Gepäck auf die Strasse. Es bleibt nur die Weiterreise in die nächste Stadt: Kaxgar. Eineinhalb Flugstunden von Urumqi entfernt. Schulkinder spielen Fussball auf der Strasse. In einer Seitengasse steht eine Wandtafel mit chinesischen Zeichen.
Man lerne Chinesisch hier, jeden Abend, sagt eine junge Frau und lächelt. Ich würde sie gerne mehr fragen, doch sie steht direkt unter einer Überwachungskamera. In Kaxgar ist der Überwachungsapparat noch stärker ausgebaut als in Urumqi. Sogar die Taxis in der Stadt sind mit je zwei Kameras ausgerüstet – eine zeigt auf den Fahrer, die andere auf den Fahrgast. Fast an jeder Kreuzung stehen Polizeibeamte, auch ich muss mich immer wieder ausweisen, und Fotos auf dem Handy löschen.
Fotos seien nur von touristischen Sehenswürdigkeiten erlaubt, erklären die Beamten der Staatssicherheit, die mich später in der Hotellobby aufsuchen. Mit dem Überlandtaxi geht es nach Artux – eine Kleinstadt, knapp eine Stunde von Kaxgar entfernt. Doch: Plötzlich hält der Fahrer an. Bewaffnete Polizeibeamte öffnen die Autotür. «Aussteigen, Gepäck mitnehmen».
Anstelle von Antworten: Sicherheitskontrollen
«Was wollen sie in Artux?» fragt ein Polizist schliesslich, es folgen Gespräche mit weiteren Beamten. «Interviews mit den Menschen hier direkt?» Das sei vollkommen ausgeschlossen, sagen die Beamten. Sie drängen auf eine Tour mit dem Verbindungsbüro für Ausländer. Ein Uigure und eine Chinesin des Büros fahren mich durch die Stadt – aussteigen nicht erlaubt. «Was halten Sie von den Vorwürfen, dass es in der Region Umerziehungslager gibt?», frage ich die beiden. Diese Berichte könnten nicht alle wahr sein, sagt der Mann. Die Beamtin wirft ein, da werde doch viel übertrieben!
«Das heisst also, diese Vorwürfe sind nicht vollkommen falsch?» Anstelle von Antworten, gibt es weitere Sicherheitskontrollen. Ausserhalb der Stadt treffen Beamte aus Kaxgar ein. Sie lassen mich nicht mehr aus den Augen, bis zum Flughafen.