Indiens Regierung zieht überraschend drei Landwirtschaftsreformen zurück. Über ein Jahr haben hunderttausende von Bauern gegen diese Agrarmarktreform protestiert.
Das Datum für die Ankündigung von Narendra Modi war klug gewählt. Es ist Gurpurab, einer der höchsten Feiertage der Glaubensgemeinschaft der Sikhs. Die Sikhs leben hauptsächlich im Gliedstaat Punjab und sind zum grossen Teil Bauern. Sie waren es, die über ein Jahr die Proteste gegen die Landwirtschaftsreformen antrieben. Dies sogar durch die Coronakrise durch, 700 Bauern verloren im Protest ihr Leben.
Durch die Landwirtschaftsreformen befürchteten die Bauern einen Preiszerfall, da diese vorsahen, den staatlich garantierten Mindestpreis für Landwirtschaftsprodukte aufzuheben. Stattdessen sahen die Reformen vor, dass die Bauern direkt mit den Firmen verhandeln können: «Ich habe es nicht geschafft, den Vorteil der Reformen den Bauern zu erklären, also nehme ich sie nun zurück», sagte Modi in seiner Ansprache heute.
Politisches Kalkül
Jedoch dürfte wahlpolitisches Kalkül hinter dem Rückzug des Reformpakets stehen. Denn im Teilstaat Punjab wird nächstes Jahr gewählt. Vertreter der Regierungspartei BJP waren in Punjab wegen den geplanten Landreformen dermassen verhasst, dass sie teilweise gar nicht mehr in die Dörfer gelassen wurden. Ein Wahlkampf zu führen wäre unter diesen Umständen unmöglich gewesen.
Bisher hatte die BJP, nie eine Chance in Punjab, einem der wenigen Teilstaaten, der noch von der Congress Partei gehalten wird, zusammen mit einer starken lokalen Partei. Doch dieses Bündnis fiel vor einigen Monaten auseinander. Die BJP witterte da ihre Chance – wenn nur nicht diese Landwirtschaftsreformen gewesen wären.
Wer in Uttar Pradesh regiert, regiert Indien
Modi erhofft sich Wählerstimmen aus dem Punjab mit dem Rückzug des Reformpakets. Seine Ansprache war dementsprechend auch den Sikhs aus dem Punjab gewidmet: «Ich appelliere an die Bauern, an diesem verheissungsvollen Tag von Guru Purab in ihre Häuser, auf ihre Felder zurückzukehren», zudem gab er ebenfalls bekannt, einen für die im Punjab lebenden Sikhs wichtigen Korridor nach Pakistan wieder zu öffnen.
Doch nicht nur im Punjab wohnen viele Sikhs, sondern auch im Teilstaat Uttarakhand. Dort machen sie knappe 20 Prozent der Bevölkerung aus. Auch dort wird gewählt, nächsten Februar. Sowie im bevölkerungsreichsten Teilstaat Indiens in Uttar Pradesh. Dort ist zwar die BJP an der Macht, doch darf sie es sich auch dort nicht mit den Bauern verscherzten. Sie machen den Grossteil der Bevölkerung dort aus. In Indien gilt die Faustregel, wer in Uttar Pradesh regiert, regiert in Indien.
Modis Kalkül könnte aufgehen. Der Rückzieher bei den Agrarreformen wird seiner Partei einen grossen Schub verleihen bei den anstehenden Regionalwahlen. Aber Modi wird dadurch auch angreifbar: Der Rückzug zeigt: Wer lange genug demonstriert, bringt die Regierung zum Umschwenken.