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Umweltverschmutzung Studie warnt vor Plastikflut in den Meeren

  • Eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) im Auftrag der Umweltschutzorganisation WWF warnt vor einer dramatischen Verschärfung der Plastikkrise in den Weltmeeren.
  • Bis 2050 droht demnach eine Vervierfachung der Plastikkonzentration.
  • Bis zum Ende des Jahrhunderts könnten Meeresgebiete von der zweieinhalbfachen Fläche Grönlands ökologisch riskante Schwellenwerte der Mikroplastikkonzentration überschreiten.
  • Im Vorfeld des UNO-Umweltgipfels (Unea) forderte der WWF daher ein global verbindliches Abkommen gegen den Eintrag von Plastikmüll in die Ozeane.

Die Plastikverschmutzung habe in den vergangenen Jahrzehnten exponentiell zugenommen, erklärte der WWF unter Berufung auf eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven. Für die Meta-Studie im Auftrag der Umweltorganisation wertete das Institut 2592 Untersuchungen aus, die seit den 1960er-Jahren bis 2019 durchgeführt wurden.

Plastikmüll zersetze sich im Ozean zu Mikro- und Nanoplastik, sagte die Leiterin des Fachbereichs Meeresschutz beim WWF Deutschland, Heike Vesper. Darum werde sich der Mikroplastikgehalt in den nächsten 30 Jahren mehr als verdoppeln.

Die dokumentierten Auswirkungen sind äusserst beunruhigend.
Autor: Melanie Bergmann Alfred-Wegener-Institut

Bei knapp 90 Prozent der untersuchten Meeresarten seien Auswirkungen festgestellt worden, sagte die Meeresbiologin und Mitautorin der Studie, Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut. Allerdings seien diese Zusammenhänge noch wenig erforscht. Aber: «Die dokumentierten Auswirkungen sind äusserst beunruhigend», sagte Bergmann.

Meeresbiologe: «Klimawandel ist das viel grössere Problem»

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Den Schweizer Meeresbiologen Nikolaus Gelpke überraschen die alarmierenden Erkenntnisse der Studie nicht. «Die Verschmutzung der Meere mit Plastik ist verheerend, man findet es überall und in zunehmendem Masse. Schlicht und einfach, weil die Produktion von Plastik zunimmt.» Doch Gelpke, der auch Chefredaktor der Zeitschrift «mare» ist, sagt auch: «Plastik ist höchstens die viertgrösste Gefahr für die Weltmeere.» Die Bewohner der Meere sind nämlich unmittelbarer von einer ebenfalls menschgemachten Gefahr bedroht: dem Klimawandel. «Sie sterben zurzeit an der Erwärmung und Übersäuerung der Weltmeere durch CO2 und an der Überfischung. Das sind viel grössere Probleme.»

Die Erwärmung der Meere führe dazu, dass die Nahrungskette am unteren Ende gefährdet ist, erklärt Gelpke. «Und wenn die Nahrungskette unten abgeschnitten wird, kommt oben auch nichts mehr an: Dann gibt es auch keine Fische und Säugetiere mehr.» Dieser Prozess ist laut dem Meeresbiologen weit fortgeschritten und lässt sich auch kaum mehr rückgängig machen. «Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass der Klimawandel die Meere mehr gefährdet als alles andere. Wir sind gerade dabei, das Leben in den Meeren massiv zu gefährden.» Gelpke fordert denn auch, dass sich auch die Medien mehr diesen komplexen Zusammenhängen widmen, statt der viel einfacher zu vermittelnden Plastikproblematik.

In Plastikmüll könnten sich Tiere wie Robben oder Meeresschildkröten verfangen und ersticken. Das gleiche Schicksal könne Vögel ereilen, die ihre Nester aus Plastikabfall bauten. Das sei etwa bei den Basstölpeln auf Helgoland beobachtet worden. Wenn der Müll den Meeresboden bedecke, fehle Korallen und Schwämmen Licht und Sauerstoff.

Toter Wal wird in Italien geborgen
Legende: Schildkröten und Raubfische oder auch Delfine und Wale verwechseln Plastikteile mit Beutetieren. Nach dem Verzehr haben sie ein falsches Sättigungsgefühl und leiden unter Verstopfung und an inneren Verletzungen. Keystone

Mittelmeer ist besonders betroffen

Mit dem Plastikmüll nähmen die Tiere zudem Chemikalien auf, die ihre Fortpflanzung beeinträchtigen könnten. Besonders betroffen seien das Mittelmeer, das Gelbe und das Ostchinesische Meer. Korallenriffe und Mangrovenwälder seien in Gefahr. Vor der indonesischen Insel Java sei an einigen Stellen die Hälfte des Meeresbodens mit Plastikmüll bedeckt. Auch in der Tiefsee, die 70 Prozent der Erdoberfläche ausmache, sammele sich immer mehr Kunststoffabfall.

Millionen Tonnen von Einwegplastik

Der Müll werde häufig direkt ins Meer gekippt oder bei Hochwasser von Deponien weggespült. Einwegplastik mache 60 bis 95 Prozent der Verschmutzung aus. Laut der Studie haben sich zwischen 86 und 150 Millionen Tonnen Kunststoff im Ozean angereichert. Mikroplastik gelange auch über das Abwasser in die Meere. Zwar hielten moderne Klärwerke 97 bis 90 Prozent der Partikel zurück, aber in einer Stadt wie Berlin oder Hamburg bedeute ein Prozent immer noch eine grosse Menge, sagte Bergmann.

Hier entsteht Mikroplastik

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Laut Schätzungen des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik sind die Hauptquellen für Mikroplastik-Eintragungen in Deutschland der Abrieb von Reifen und Bitumen im Asphalt sowie die Freisetzung bei der Abfallentsorgung. Auf Platz 7 der Rangliste des Instituts steht der Abrieb von Schuhsohlen, noch vor dem häufig genannten Faserabrieb bei der Textilwäsche (Rang 10) und Partikeln in der Kosmetik (Rang 17). Auch Windkraftanlagen tragen zur Verschmutzung der Meere bei, wie Bergmann bestätigte. Die Lacke würden durch Wind abgetrieben. Allerdings könne man diese Menge noch nicht beziffern, ebenso wenig wie den zunehmenden Müll durch Masken und andere Corona-Schutzeinrichtungen.

Der WWF forderte die Ende Februar in Nairobi tagende Umweltversammlung der Vereinten Nationen (Unea) auf, ein rechtsverbindliches globales Abkommen gegen den Plastikeintrag in die Meere auf den Weg zu bringen. Die Ursachen der Plastikverschmutzung müssten bereits im Keim bekämpft werden, da dies viel effektiver sei, als die Folgen im Nachhinein zu beseitigen: «Regierungen, Industrie und Gesellschaft müssen jetzt geschlossen handeln, um die Plastikkrise zu stoppen», forderte Axel Hein, Meeresexperte des WWF Österreich. Es brauche einen globalen Kraftakt auf der UNO-Versammlung im Februar.

Hier geht es zur Studie.

SRF4 News, 8.2.2022, 04:00 Uhr ; 

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