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Ungarns neues Fake-News-Gesetz Das Ende der Meinungsfreiheit?

Die Regierung Orban verfolgt ihre Kritiker mit ihrem neuen Fake-News-Gesetz mit aller Härte. Trotzdem lassen sich nicht alle Dissidenten mundtot machen.

Autohupen, Trillerpfeifen und Rätschen dröhnen vom Donau-Ufer den Budapester Burgberg hoch. Dort, in der Burg, residiert seit kurzem Ministerpräsident Viktor Orban. An einem Geländer hängt ein Transparent mit dem ungarischen Reim: «Die Burg gehört dir. Der Knast wartet!» Die Demonstration ist unbewilligt. Beim letzten ähnlichen Protest bekamen die Teilnehmer Bussen von 120’000 Forint (über 360 Franken) für verbotenes Hupen aufgebrummt. Der Mindestlohn in Ungarn beträgt 490 Franken im Monat.

Eine absurd hohe Strafe. Doch sie zeigt, wie viel Angst die Regierung Orban vor Demonstranten hat.

Kritik auf Facebook reicht schon aus

Ein wichtiger Grund für den Protest sind die Verhaftungen von Dissidenten und Bloggern letzte Woche. Gemeinsam mit dem Corona-Notstandsgesetz peitschte Viktor Orban auch das sogenannte «Fake-News-Gesetz» durchs Parlament. Mit dieser Verschärfung des Strafrechts kann bis zu fünf Jahren inhaftiert werden, wer öffentlich Kritik an den Anti-Corona-Massnahmen der Regierung äussert.

Das «Fake-News-Gesetz»

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Premier Orban hatte sich Ende März vom Parlament mit umfassenden Sondervollmachten ausstatten lassen. Mit ihnen kann er bis auf Weiteres ohne Befristung und ohne parlamentarische Kontrolle auf dem Verordnungsweg regieren. Orban kann zudem den Notstand ohne Zustimmung des Parlaments beliebig verlängern.

Neue Strafbestimmungen drohen Journalisten, Bloggern oder Dissidenten mit dem Gefängnis, wenn sie Tatsachen so wiedergeben, dass sie grössere Menschengruppen «beunruhigen». Bis zu fünf Jahre stehen auf die Verbreitung falscher Berichte sowohl über die Pandemie als auch über das Handeln der Regierung. Den Vorwurf von «Fake News» hat die ungarische Regierung in der Vergangenheit immer wieder gegen unabhängige Medien erhoben.

Die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Vĕra Jourová, sagte dazu kürzlich im Europäischen Parlament: «Ungarn gibt besonderen Anlass zur Sorge. Die Notfallbefugnisse erscheinen dort weitergehender als in anderen Ländern. Bedenklich sind die breiten Handlungsvollmachten und das Fehlen einer zeitlichen Befristung.»

Letzte Woche hatte die Polizei ein Video veröffentlicht, auf dem der 64-jährige András Kuschinszki in der Ortschaft Szegi zum Verhör abgeführt wurde. Seine Tat: Er hatte auf seiner Facebook-Seite Kritik an den Anti-Corona-Massnahmen der Regierung geübt und geschrieben, dass alle Diktatoren früher oder später stürzen würden – ohne Namen zu nennen. Sein Handy und sein Laptop wurden beschlagnahmt. Das Verhör dauerte Stunden und endete ohne Anklage.

Nicht alle lassen sich einschüchtern

Auf Anfrage von SRF wollten weder die Regierung noch die Regierungspartei Fidesz vor der Kamera Stellung nehmen. Ein Regierungssprecher bestätigte per Mail, es seien Dutzende Verfahren gegen Personen eröffnet worden. Allerdings sei bisher nur in einem einzigen Fall Anklage erhoben worden. Der Regierungssprecher schreibt: «Diese strafrechtlichen Verfahren haben zum Ziel, die Verbreitung falscher Informationen zu verhindern, welche die Anstrengungen untergraben, die Bevölkerung vor der Verbreitung des Virus zu schützen.»

Beobachter glauben aber, dass mit den Verhaftungen Kritiker eingeschüchtert werden sollen. Doch so richtig scheint das nicht zu funktionieren. Kaum wieder auf freiem Fuss diskutierte András Kuschinszki schon wieder in Online-Medien und gab Interviews. Dort sagte er Dinge wie: «Solange es in Ungarn noch Rede- und Meinungsfreiheit gibt, solange nutzen wir sie auch.»

Wir haben nicht gedacht, dass es 30 Jahre nach dem Kommunismus wieder vorkommt, dass jemand aufgrund seiner Meinung verhaftet wird.
Autor: Ákos Hadházy Oppositionspolitiker

Unter den Demonstranten am Budapester Donau-Ufer ist auch die parteilose Parlamentarierin Bernadett Szél. Sie sagt: «Der Ministerpräsident benutzt die Coronakrise, um Massnahmen zu ergreifen, um die demokratischen Rechte zu beschneiden.» Und Europaparlamentarierin Katalin Cseh von der liberalen Partei Momentum ergänzt: «Das gab es noch nie in der EU. Friedliche Bürger werden verhaftet, nur weil sie ihre Meinung äussern.» Der ebenfalls demonstrierende Oppositionspolitiker Ákos Hadházy fügt an: «Wir haben nicht gedacht, dass es 30 Jahre nach dem Kommunismus wieder vorkommt, dass jemand aufgrund seiner Meinung verhaftet wird.»

Ministerpräsident Viktor Orban hat angekündigt, das umstrittene Notrecht ab dem 26. Mai schrittweise aufzuheben. Ob auch der umstrittene Fake-News-Paragraf annulliert wird, ist noch unklar.

Tagesschau, 19.05.2020, 19:30 Uhr

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