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Vollmacht für Orban in Ungarn Ein Gesetz, das vielen Angst macht

Das ungarische Parlament hat diesen Nachmittag Ja gesagt zu einem Gesetz, das Ministerpräsident Orban erlaubt, auf unbestimmte Zeit nach Regeln des Notstands zu regieren. Er darf neue Gesetze machen, ohne das Parlament zu fragen. Er muss alte Gesetze nicht beachten. Er kann Wahlen hinauszögern. Und Journalistinnen und Journalisten ins Gefängnis stecken, die «Falschmeldungen» verbreiten.

Gedacht ist das neue Gesetz natürlich für die Corona-Zeit, damit jetzt reibungslos regiert werden kann. Nur: Orban kann nun selber entscheiden, wann die Corona-Zeit zu Ende ist.

Neues Gesetz bereitet Sorge, weil...

Zuerst die guten Nachrichten: Bis jetzt hat Orban keine Macht missbraucht, bis jetzt macht er es ähnlich wie andere in anderen Ländern – Schulen zu, Menschen zu Hause. Das finden alle in Ungarn gut, auch Orbans Gegner. Trotzdem macht das neue Gesetz vielen in Ungarn Angst.

Da ist Orbans Abneigung gegen die Aufhebung von Notständen: 2015 rief er den Notstand aus, weil so viele Flüchtlinge nach Ungarn kamen. Heute kommt kaum noch einer, trotzdem ist der Notstand immer noch in Kraft.

Da ist die Unsichtbarkeit von Orbans Gegnern: Die meisten Medien kontrolliert – direkt oder indirekt – die Regierung, Orbans Gegner kommen dort nicht vor oder in einem schlechten Licht. Wenn die Regierung nun auch noch das Parlament links liegen lassen darf, erfährt die Öffentlichkeit noch weniger darüber, wie Menschen denken, die nicht auf Orbans Linie sind.

Und vor allem: Da ist das Problem mit den «Falschmeldungen»: Wenn die Regierung entscheiden darf, was eine Falschmeldung ist, wenn deswegen Journalistinnen und Journalisten ins Gefängnis müssen, dann brechen schnell einmal Zeiten an, die sich kaum jemand zurückwünscht. Dann ist die Existenz der wenigen Medien in Ungarn gefährdet, die die Regierung noch nicht kontrolliert. Dabei sind gerade diese Medien im Moment besonders wichtig.

Orban-Medien spielten Lage herunter

Anders als in den meisten anderen Ländern Europas haben die öffentlichen und regierungsnahen Medien das Coronavirus lange verharmlost. In einer Wochenzeitung, die Orban schätzt, hiess es noch am 6. März, es gebe gar keine Epidemie, das sei alles bloss Medienpropaganda. Fünf Tage später rief Orban den Notstand aus.

Die Orban-Medien behaupteten, iranische Studenten hätten das Virus nach Ungarn gebracht, schuld seien also wieder einmal die Ausländer. Es waren unabhängige Medien, die über einen jungen Ungarn berichteten, der nichts mit den iranischen Studenten zu tun hatte, Corona-Symptome hatte, sich testen lassen wollte, aber nicht zugelassen wurde. Der Vater dieses jungen Ungarn war dann der erste offizielle Corona-Fall im Land.

Zwist mit seiner Fidesz-Partei?

Es sind auch unabhängige Medien, die jetzt darüber berichten, dass überall im Land Schutzausrüstung, Tests und Personal fehlen. Es gibt – neben den unabhängigen Medien – noch eine Gruppe von Leuten, die nicht glücklich sein können über das neue Gesetz, die neue Machtfülle für Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban: seine eigenen Leute, seine Fidesz-Partei.

In Budapest munkelt man, der Ministerpräsident misstraue zunehmend seinem eigenen Lager und wolle gerade auch dieses umgehen mit dem neuen Gesetz. Es heisst, eigentlich habe Orban keine Schulen schliessen, das Land nicht dichtmachen wollen. Seine Partei habe ihn dazu überredet, ja genötigt. Es heisst auch, Orban könne es mit einigen seiner Leute nicht mehr so gut, seit seine Partei im Herbst wichtige Städte des Landes an die Opposition verloren hat.

Orbans Reaktion, das neue Gesetz, ist vor diesem Hintergrund logisch: So reagiert kein liberaler Demokrat, sondern ein illiberaler Autoritärer.

Orban ist auch heute nicht zum Diktator geworden. Aber er kann seit heute noch schneller regieren, muss andere Meinungen noch weniger berücksichtigen, muss noch weniger Fragen stellen. Die Demokratie in Ungarn ist seit heute ebenfalls ein Opfer von Corona – lebt zwar noch, hat aber einen schweren Verlauf.

Sarah Nowotny

Osteuropa-Korrespondentin

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Sarah Nowotny ist Osteuropa-Korrespondentin für SRF. Sie lebt in der polnischen Hauptstadt Warschau. Seit 2014 ist Nowotny bei Radio SRF tätig. Zuvor arbeitete sie für die «NZZ am Sonntag» und «Der Bund».

Tagesschau, 30.03.2020, 19.30 Uhr

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