Zum Inhalt springen

Ungeregelter Weltraum «Das ist natürlich ein archaisches System»

Das US-Unternehmen SpaceX will tausende Satelliten ins Weltall schicken. Astrophysiker Thomas Schildknecht fordert neue Regeln für den Satellitenverkehr im Weltraum.

Dieses Wochenende will SpaceX 60 weitere Starlink-Satelliten ins Weltall schiessen. Rund 420 sind schon oben. Experte Thomas Schildknecht erklärt, weshalb eine Kollision von Satelliten verheerend wäre.

Thomas Schildknecht

Universität Bern

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Thomas Schildknecht ist Vizedirektor des Astronomischen Instituts der Universität Bern.

SRF News: Darf man einfach so 60 Satelliten ins All schiessen?

Thomas Schildknecht: Im Prinzip darf man das. Nach internationalen Abkommen aus den 1960er-Jahren darf jeder Staat den Weltraum nutzen. Das heisst: Staaten bewilligen letztlich, ob Satelliten gestartet werden dürfen. Im Falle von SpaceX sind das die USA.

Im Moment sind insgesamt rund 2500 aktive Satelliten unterwegs im Weltraum. Was machen Satellitenbetreiber, wenn eine Kollision droht?

Dann versuchen sie, den Operator des anderen Satelliten zu kontaktieren. Das passiert per E-Mail, oder vielleicht sogar am Telefon. Wenn man Glück hat, erwischt man ihn. Wenn nicht, schreibt er erst Stunden oder Tage später zurück. Und das ist natürlich ein archaisches System. Mit dem können wir in Zukunft nicht leben. In Zukunft müssen diese Dinge automatisiert sein.

Wie könnte man das besser regeln?

Wir brauchen einen Katalog der Bahnen all dieser Objekte. Dieser Katalog muss für alle zugänglich sein. Jeder, der dort oben einen Satelliten betreibt, muss Zugang zu dieser Information haben. Und selbst auch jedem anderen Beteiligten die Information über seine Objekte zur Verfügung stellen.

Im Weltall gibt es nebst den Satelliten zehntausende grössere Teile von Weltraumschrott. Was ist die Gefahr bei Kollisionen?

Bei einer einzigen Kollision entstehen ganz viele Bruchstücke. Und jedes dieser Bruchstücke ist gefährlich für andere Satelliten. Ein Bruchstück von einem Zentimeter Grösse ist für die meisten Satelliten tödlich, wenn es einschlägt.

Sie gehören zur Schweizer Delegation beim COPUOS, dem UNO-Komitee für eine friedliche Nutzung des Weltraums. Dort setzen Sie sich ein für bessere Regeln. Sind Sie auf gutem Weg?

Die Arbeiten bei der UNO sind auf dem Weg. Aber sie sind zu langsam. Wir können dort nicht Schritt halten mit der technischen Entwicklung – mit diesen Mega-Konstellationen wie Starlink von SpaceX beispielsweise. Das ist ganz klar, da weisen ganz viele darauf hin, dass wir das beschleunigen müssen. Damit wir nicht von der Realität überholt werden.

Offenbar wehren sich vor allem die grossen Weltraummächte gegen ein globales Regelwerk. Warum?

Es ist zu vergleichen mit der Diskussion über die globale Erwärmung. Regeln bedeuten auch immer, dass sie etwas kosten. Dass man vielleicht wirtschaftlich scheinbar Nachteile hat gegenüber seinen Konkurrenten. Oder man fürchtet militärische Einschränkungen. Deshalb sind diese Diskussionen sehr aufwändig, sehr langwierig und auch sehr politisch.

Ein Vorteil bei den Starlink-Satelliten: Sie sind manövrierfähig, können ihre eigene Position übermitteln – und sie fliegen eher tief.

Diese Konstellation soll ja in 550 Kilometern Höhe platziert werden. Und da sind wir alle froh. Weil das eine Höhe ist, die garantiert, dass, wenn Satelliten ausfallen, am Ende ihres Lebens beispielsweise, diese innerhalb von vernünftiger Zeit in der Erdatmosphäre verglühen werden. Dort haben wir nicht das Problem, dass wir beliebig viel Weltraumschrott für beliebig lange Zeit haben.

Das Interview führte Marcel Anderwert.

Tagesschau, 19.30 Uhr, 16.05.2020 ; 

Meistgelesene Artikel