In einem alten Lift mit Gittertüren geht's ins Untergeschoss des Zoologischen Instituts, mitten in der Altstadt von Cambridge. Matthias Landgraf sitzt an einem Mikroskop und seziert Fliegeneier. Der Deutsche ist Dozent für Neurobiologie an der Universität Cambridge. Er forscht, wie sich im Embryo Nervensysteme bilden.
Landgraf arbeitet präzise und wirkt ruhig. Das sei in letzter Zeit nicht immer so gewesen, sagt er. Das Ja zum Brexit habe ihn mitgenommen. «Ich bin in gleichen Massen verärgert und deprimiert. Es ist in den ersten zwei Jahren nach der Abstimmung keine Woche vergangen, in der ich nicht darüber geheult habe.»
Der Brexit mache alles kaputt, was Grossbritannien ausgemacht habe, findet Landgraf. Das Land habe in den 30 Jahren, in denen er hier lebe, einen phänomenalen Aufschwung erlebt, habe sich stark geöffnet, Europa und der Welt gegenüber.
Davon habe auch die Universität Cambridge profitiert: Dank Forschungsgeldern aus EU-Töpfen sei in den letzten Jahren langfristige Forschung möglich gewesen – das Geld aus britischen Kassen reiche nur für kurzfristige Projekte.
Wenn wir reaktionär in die Vergangenheit zurückgehen, ist das kein Land, in dem ich alt werden möchte.
Was also, wenn die Gelder aus der EU nach dem Brexit nicht mehr fliessen? Ein Drittel der Forschungsgelder in Landgrafs Institut kommen aus der EU-Kasse. «Fällt das weg, sieht es ganz übel aus. Das wird sich auf die ganze britische Forschungslandschaft auswirken», so der Neurobiologe. Schon jetzt hätten wegen der Unsicherheiten rund um den Brexit Professoren aus EU-Ländern die Uni verlassen. Und andere wollten nicht mehr kommen – trotz lukrativer Angebote.
Landgraf habe sich auch schon ernsthaft überlegt, Grossbritannien zu verlassen. Der Brexit habe das Land zum Schlechteren verändert: «Ich schaue in die Zukunft und frage mich: Was für eine Gesellschaft bauen wir hier auf? Die Ausländerfeindlichkeit ist in schockierendem Masse gewachsen. Wenn wir reaktionär in die Vergangenheit zurückgehen, ist das kein Land, in dem ich alt werden möchte.»
Catherine Barnard ist Vorsteherin des Trinity College mit rund 1000 Studentinnen und Studenten und rund 160 Lehrenden. Sie hat viel zu tun – und kommt sofort auf den Punkt: Die Zeit nach dem Brexit gebe ihr zu denken. Sie mache sich grosse Sorgen, dass Cambridge Mühe haben werde, weiterhin ausgezeichnete Studenten und Professoren aus EU-Ländern anzuziehen.
Studiengebühren in den Sternen
Sie könnten den Studenten wegen des Brexit ja gar nicht sagen, wieviel Studiengebühren sie in Zukunft zahlen müssten – und das sei ein zentraler Punkt, wenn Studenten eine Universität im Ausland auswählten. «Es macht ja auch einen grossen Unterschied, ob eine Studentin 9000 oder 20'000 Pfund Studiengebühren pro Jahr bezahlen muss.» Sie müssten darum in Zukunft wohl auch versuchen, noch mehr Gelder von Privaten zu beschaffen, sagt Barnard.
Vor dem Haupteingang stehen Touristen – Sie machen Fotos und Videos. Auf diesen wird das Trinity College aussehen wie immer. Hinter der Fassade aber deuten sich Entwicklungen an, die die Universität Cambridge stark verändern könnten.