«Herr Minister, werte Gäste, wir haben unseren Sinkflug nach Beirut begonnen.» Es ist bereits nach 1 Uhr morgens, aber der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier zeigt keine Anzeichen von Müdigkeit. Im Gegenteil, er wirkt fast etwas euphorisiert.
Auf dem vierstündigen Flug von Berlin nach Beirut gesellt er sich zu den Journalisten, erklärt, scherzt. Wenn es den Beruf des Aussenministers nicht gäbe, müsste man ihn für ihn erfinden . So wirkt der deutsche Aussenminister. Beflügelt ist er vielleicht auch von der bevorstehenden Wahl zum Bundespräsidenten.
Schnell nach Beirut fliegen
400'000 Kilometer legt Steinmeier jährlich zurück. Das entspricht einer Reise auf den Mond. 800 Stunden verbringt er jedes Jahr im Flugzeug. In diesen 24 Stunden anfangs Dezember steht eine Reise nach Beirut auf dem Programm.
Anlass für diese konkrete Reise ist die erfolgreiche Regierungsbildung in Libanon nach zweieinhalb Jahren schwieriger Verhandlungen. Das Spannungsfeld des Nahen Ostens spiegelt sich im Kleinen in Libanon.
400'000 Kilometer legt Steinmeier jährlich zurück. Das entspricht einer Reise auf den Mond.
Kein Land hat pro Kopf mehr Flüchtlinge aufgenommen. Es geht natürlich auch um Syrien. Näher an Syrien heran kann ein deutscher Aussenminister im Moment nicht kommen.
Tross fährt ins Flüchtlingscamp
Bereits um 7.30 Uhr morgens setzt sich die Wagenkolonne des Ministers mit einem Dutzend Begleitfahrzeugen in Bewegung. Ziel ist das Flüchtlingslager «Saadnayel 019» in der Bekaa-Hochebene, 40 Kilometer von Damaskus entfernt.
600 syrische Flüchtlinge leben seit fünf Jahren hier. Die Kinder sind hier geboren. Der Kontakt zur Heimat nördlich von Aleppo ist schwierig, denn das Handynetz in Libanon ist schlecht. Arbeiten dürfen sie nicht, sich gross bewegen auch nicht.
Steinmeier besucht zwei Zelte. Ihm folgt eine Horde Kameraleute und Journalisten.
Sie sind illegal in Libanon – fünf Jahre auf wenigen Quadratmetern. Im Lager werden sie geduldet, werden sie aber bei einem Checkpoint aufgegriffen, droht ihnen die Ausweisung.
Steinmeier besucht zwei Zelte. Es sind Vorzeigeunterkünfte. An den Wänden sind Isoliermatten angebracht, in der Mitte des Zeltes steht ein Ölofen. Er setzt sich hin, stellt einige Fragen. Nächstes Zelt. Ihm folgt eine Horde Kameraleute und Journalisten. Nach 45 Minuten ist der Besuch beendet.
Treffen reiht sich an Treffen
Es folgen Treffen mit einer Vertreterin des UNO-Flüchtlingswerks UNHCR, mit dem Leiter des World-Food-Programms in der Hauptstadt Syriens, dem Schweizer Jakob Kern, der aus dem nahen Damaskus gekommen ist.
Hinter verschlossenen Türen schliesslich trifft Steinmeier auch Vertreter der Zivilgesellschaft, deren Namen geheim gehalten werden. Danach ist die Führungsspitze Libanons dran.
Manche Termine wirken befremdlich kurz, und dennoch geben sie selbst den mitreisenden Journalisten einen Eindruck. Einen Eindruck von beidem; von der Lage vor Ort und vom Agieren des Aussenministers.
Fertige Antworten auf Fragen
Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem libanesischen Aussenminister Gebran Bassil stellen die örtlichen Journalisten drängende Fragen: «Wann wird dem Blutvergiessen in Syrien endlich Einhalt geboten? Wann tritt die EU aktiver auf?» Steinmeier antwortet mit wohl austarierten Formulierungen.
Nachdem wir ihm 24 Stunden über die Schultern geschaut haben, lässt sich folgende Schlussfolgerung ziehen: Deutschland will keine stärkere Führungsrolle übernehmen, wie überall gefordert. Steinmeier nennt eine solche Idee sogar «halbstarkes Gerede». Deutschland sei allein nicht stark genug für eine solche Rolle.
Wenn Aussenpolitik eine Maschine wäre, dann wäre Steinmeier der exzellente Mechaniker.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte beim Besuch von US-Präsident Obama in Berlin, Deutschland handle nie alleine, sondern immer nur im Rahmen der bestehenden Bündnisse, im Rahmen von EU, Nato, UNO.
Viel Geld für die Krisenregion
Steinmeier verwahrt sich insbesondere gegen neue Sanktionen gegen Russland in der aktuellen Situation. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass Deutschland in erster Linie die Leiden der syrischen Bevölkerung mindern, Schaden begrenzen will.
Kein anderes Land hat mehr Finanzmittel in die Krisenregion investiert als Deutschland. 2,5 Milliarden Euro sind es seit 2012.
Fragen könnte man sich, ob Deutschland im Syrienkonflikt im Moment, zumindest angesichts der Erfolge von Diktator Baschar al Assad, resigniert hat. Man könnte sich auch fragen, ob Berlin ein Ende des Blutvergiessens auch unter Assad trotz grosser Bauchschmerzen vielleicht für das geringere Übel hält.
Aussenpolitik für das Mögliche
Wenn Aussenpolitik eine Maschine wäre, dann wäre Steinmeier der exzellente Mechaniker, der diese Maschine ölt, sie am Laufen hält, an allen Rädchen dreht, um das Beste aus ihr herauszuholen.
Die deutsche Aussenpolitik – so könnte man den Eindruck gewinnen – ist mehr am pragmatisch Möglichen als am Grundsätzlichen orientiert.