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Ursula von der Leyens Antritt Das sind die Stolpersteine für die neue EU-Kommissionspräsidentin

Es war ein holperiger Start: Ursula von der Leyen ist als Ausweichkandidatin an die Spitze der EU-Kommission gelangt, nachdem sich das EU-Parlament und die Mitgliedsstaaten auf keinen Spitzenkandidaten aus dem EU-Wahlkampf hatten einigen können.

Kaum war von der Leyen vorgeschlagen, verweigerte das EU-Parlament drei designierten Mitgliedern ihrer Kommission die Zustimmung. Das Versprechen, eine Kommission mit 50 Prozent Frauen anzuführen, konnte sie nicht einhalten.

Späterer Amtsantritt als geplant

Immerhin sagten heute in der Schlussabstimmung 461 von 751 EU-Parlamentariern Ja zur Kommission von der Leyen. Am 1. Dezember kann sie ihre Arbeit aufnehmen, einen Monat später als geplant.

Nun wird von der Leyen an ihrer Amtsführung gemessen. Als neue EU-Kommissionspräsidentin steht sie vor vielen grossen Stolpersteinen:

  • Ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker hatte 2014 als Spitzenkandidat der Christdemokraten die EU-Wahlen gewonnen und konnte sich im EU-Parlament auf eine Koalition mit den Sozialdemokraten stützen. Von der Leyen fehlt die Legitimität einer Spitzenkandidatin, und nach der Wahlschlappe der Christ- und Sozialdemokraten ist sie auf die Stimmen weiterer Parteien angewiesen. Ihre Machtbasis im Parlament ist prekär.
  • Anders als ihre Vorgänger ist sie keine EU-Eingeweihte. Als deutsche Sozial- und später Verteidigungsministerin war sie zwar oft in Brüssel. Doch mit den Kernthemen der Union – wie Wirtschaft oder Migration – ist sie wenig vertraut, ihr europäisches Beziehungsnetz ist beschränkt.
  • Als Kommissionspräsidentin hat von der Leyen ohnehin einen schier unmöglichen Job: Sie hat zwar Einfluss, kann Gesetzesvorschläge unterbreiten, Verfahren gegen EU-Staaten eröffnen und Konzernkartelle zerschlagen. Doch um wirklich etwas zu bewegen, ist sie auf Mehrheiten im EU-Parlament und auf die Mitgliedsstaaten angewiesen.
  • Manche ihrer ehrgeizigen Ziele – etwa Klimaschutz und Digitalisierung – sind zwar populär. Doch sobald es ans Eingemachte geht, werden sich die alten Gräben auftun: zwischen reichen und armen EU-Staaten, grossen und kleinen, zwischen Ost und West, Nord und Süd.
  • Andere ihrer Forderungen stiessen bereits vor Amtsantritt auf Widerstand. So möchte von der Leyen die EU sozialer machen. Doch ausgerechnet bei sich zu Hause in Deutschland ist diese Forderung unbeliebt. Sozialpolitik, heisst es dort, soll Sache der einzelnen EU-Staaten bleiben.
  • Ehrgeizige Ziele hin oder her, von der Leyens Vorgänger wurden vor allem an ihren Fähigkeiten als Krisenmanager gemessen. Nach der Euro-, der Migrations- und der Brexit-Krise dürften auch in den kommenden fünf Jahren Krisen die EU-Kommission herausfordern und von der Leyen auf eine harte Probe stellen.

Der Weg der ersten Frau an der Spitze der EU-Kommission ist also voller Stolpersteine. Doch gerade das ist auch eine Chance. Juncker war mit Vorschusslorbeeren gestartet – und hat viele enttäuscht. Von der Leyen hatte einen holperigen Start – jeder Erfolg wird umso grösser erscheinen.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Hier finden Sie weitere Artikel von Sebastian Ramspeck und Informationen zu seiner Person.

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