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US-Vizepräsidentin Die strauchelnde Hoffnungsträgerin Kamala Harris

Vergangenen Freitag schrieb Kamala Harris amerikanische Geschichte: Als erste Frau in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika hielt Harris die präsidentielle Macht inne. Zwar nur für 85 Minuten, und nur, weil sich der Präsident, Joe Biden, einer routinemässigen Darmspiegelung unterzog und dafür unter Narkose gesetzt wurde. Doch diese eine Stunde und 25 Minuten stehen von nun an in den Geschichtsbüchern der USA.

Dass Kamala Harris dereinst aber selbst Präsidentin wird, kann sich in den USA gerade kaum mehr jemand so richtig vorstellen.

Anfang Jahr bei manchen noch als kommender Politstar und grosse Hoffnung gefeiert, steckt die 57-jährige Harris heute in einem Popularitätstief, das jeden historischen Vergleich untertrifft. Eine Umfrage förderte kürzlich eine Zustimmungsrate von 28 Prozent zutage. Das ist die tiefste Zustimmungsrate, die ein Vizepräsident – es waren bislang nur Männer – in der Geschichte der Vereinigten Staaten je erreichte. Und mit diesem Umfragewert und dem gleichzeitigen 79. Geburtstag des Präsidenten am Tag nach seiner Darmspiegelung sehen sich das Weisse Haus und die Demokraten Schlagzeilen gegenüber, die sie lieber vermeiden würden.

Harris kämpft mit ihrer Rolle

Das Magazin «Politico» titelte: «Geschwätz über die Biden-Nachfolge wird lauter, und Harris schreckt niemanden ab». Der Demokraten-freundliche Fernsehsender CNN berichtet über «Harris’ frustrierenden Start» als Vizepräsidentin, und das konservative Boulevardblatt «New York Post» schreibt von einer «kaltgestellten Kamala Harris» angesichts «wachsender Spannungen» mit Joe Biden.

Die Kernaussage der Artikel ist dieselbe: Die Vizepräsidentin kämpft mit ihrer Rolle. Sie ist frustriert, und manche in Bidens Umfeld sind frustriert über sie. Und anstelle von Harris werden andere Demokraten als künftige Präsidentschaftsbewerber ins Spiel gebracht, so wie Pete Buttigieg, der als Verkehrsminister grosse Teile von Bidens Infrastruktur-Paket umsetzen darf, oder die Senatorinnen Amy Klobuchar oder Elizabeth Warren.

Ein Zeichen aus dem Weissen Haus?

Als Joe Biden darum warb, dass ihn die Amerikanerinnen und Amerikaner zum 46. Präsidenten der USA wählen sollten, präsentierte er sich als «Überbrücker». Er selbst benutzte das Wort im Wahlkampf im März 2020. Heute ist unklar, ob sich Biden tatsächlich als reiner «Überbrücker» sieht. Privat und öffentlich hat er zuletzt verlauten lassen, dass er 2024 zu einer zweiten Amtszeit antreten werde. Er wird dann 82 Jahre alt sein.

Nun kann dies eine taktische Aussage sein, um Zweiflern entgegenzutreten, die ihm das Amt bereits jetzt nicht mehr zumuten. Der amerikanische Präsident hat vital und entschlossen zu erscheinen. Es kann aber auch als Zeichen gelesen werden, dass die Führungsriege im Weissen Haus und in der demokratischen Partei Kamala Harris nicht mehr zutrauen, dereinst als Nachfolgerin von Biden anzutreten.

Die angezählte Nummer 2

Kamala Harris hat bislang tatsächlich kaum Erfolge vorzuweisen. Ihre Auftritte haben etwas Plattitüdenhaftes, sie erscheint gar oft beliebig. Auch wenn ihr Präsident Biden wahrhaftig keine politischen Goldgruben anvertraut hat, sondern so undankbare Dossiers wie das Migrationsdesaster an der Südgrenze, oder die Revision des Stimmrechtsgesetzes, welches im Senat kaum Erfolg haben wird. Doch Harris hat in beiden Dossiers keine gute Figur gemacht. Die Nummer 2 zu sein, ist immer eine undankbare Aufgabe. Eine angezählte Nummer 2 zu sein, ist eine politische Strafaufgabe.

Pascal Weber

USA-Korrespondent

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Pascal Weber arbeitet seit 1999 für SRF. Als Redaktor und Produzent war er zunächst in der Sportredaktion tätig, danach bei «10vor10». Von 2010 bis 2021 war er als Korrespondent im Nahen Osten. Er lebte zuerst in Tel Aviv, dann lange Jahre in Kairo und Beirut. Nun arbeitet er für SRF in Washington.

Echo der Zeit, 22.11.2021, 18:00 Uhr

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