Selten wird einem die eigene Faulheit so drastisch vor Augen geführt wie bei Wahlen. Wochenlang liegt das Wahlmaterial auf dem Frühstückstisch. Griffbereit und unübersehbar. Bevor man sich versieht, flimmern die ersten Hochrechnungen über den Fernseher. Und leider kann man niemand anderem die Schuld geben als sich selbst.
«Besser» haben es amerikanische Wahlmuffel: Sie können mit Fug und Recht die Behörden verfluchen. Denn sie tragen zumindest eine Mitschuld daran, dass man dann doch lieber auf dem Sofa geblieben ist. In den USA muss man sich nämlich erst registrieren, um wählen zu können. Das kann Zeit, Nerven und Geld kosten.
USA kennen kein Einwohnerregister
Wie, wann, wo und womit man sich für die Wahl registrieren kann, ist von Alabama bis Wyoming unterschiedlich geregelt. «Es wird überall etwas anders gehandhabt und es sind auch jeweils andere Unterlagen notwendig», erklärt Claudia Brühwiler, Professorin für amerikanische Kultur und Politik an der Universität St. Gallen.
Die US-Regierung unternimmt den waghalsigen Versuch, das Prozedere in nur einer Minute aufzudröseln. Das Erklärvideo endet mit dem ernüchternden Hinweis, dass alle Bundesstaaten eigene Spielregeln haben. Na danke...
Eine mehr oder weniger nützliche Wahlanleitung aus Washington
Aus reiner Böswilligkeit werfen die Behörden dem Wahlvolk aber keine Knüppel zwischen die Beine: Eine Registrierung ist nötig, weil die einzelnen Bundesstaaten, Countys und Gemeinden kein Einwohnerregister haben. Wer in den USA in eine andere Gemeinde oder einen anderen Bundesstaat umzieht, muss das den Behörden nicht melden. «Aktenkundig» wird man erst, wenn man zum Beispiel Steuern bezahlt.
Aufgrund des fehlenden Einwohnerregisters erhält man die Wahlunterlagen auch nicht wie bei uns automatisch per Post. Stattdessen muss man selbst aktiv werden und sich für die Wahl registrieren lassen.
Gerade Neuwählerinnen und Neuwähler müssen bürokratische Hürden überwinden. Das wissen auch die Präsidentschaftskandidaten, die auffallend gerne helfen. Auf der Website von Kamala Harris kann man Adresse, E-Mail und Telefonnummer hinterlegen, um zu erfahren, «wie man wählt».
Wer sich dort einträgt, sollte schon einmal Platz in seiner Mailbox schaffen. Denn bei ein paar nüchternen Informationen zum Wahlprozedere wird es Harris' Team nicht belassen.
Den gleichen Service bietet Donald Trump. Wer ihm seine Daten anvertraut, kann gleich noch dabei helfen, einen Wahlsieg einzufahren, der «too big to rig» ist («zu gross, um zu manipulieren»).
Umstrittene Auflagen
Die Registrierungspflicht wird mitunter scharf kritisiert: In manchen Bundesstaaten trage sie dazu bei, sozial benachteiligte Schichten von der Urne fernzuhalten. Ein Beispiel sind rigide Ausweispflichten, etwa mittels Führerschein oder ID, die gerade Schwarze weniger häufig besitzen. Einige Bundesstaaten schliessen auch verurteilte Straftäter vom Wahlrecht aus.
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Bild 1 von 3. Laut der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sind derzeit 4.4 Millionen US-Bürgerinnen und -Bürger aufgrund strafrechtlicher Verurteilungen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Bildquelle: Getty Images/David McNew.
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Bild 2 von 3. In Florida sind schätzungsweise zehn Prozent der Erwachsenen aufgrund früherer Verurteilungen nicht wahlberechtigt. Mit Iowa, Florida und Virginia haben drei traditionell umkämpfte Bundesstaaten mit die härtesten Gesetze, die Straffälligen das Wahlrecht entziehen. Bildquelle: Getty Images/Yasin Ozturk.
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Bild 3 von 3. Die Auflagen treffen insbesondere schwarze US-Bürgerinnen und -Bürger, die laut Human Rights Watch «weiterhin unverhältnismässig häufig verhaftet werden und härteren Strafen unterworfen sind.» . Bildquelle: Getty Images/H. Armstrong Roberts.
Das wirft die Frage auf, wie «demokratisch» das US-Wahlsystem wirklich ist. Politologin Brühwiler hält jedoch auch fest, dass sich Politik und Behörden vielerorts bemühen, Hürden abzubauen, die Menschen vom Wählen abhalten.
Die Registrierungspflicht hat ihren Anteil daran, dass die Wahlbeteiligung in den USA tiefer ist als in vielen anderen westlichen Staaten: Laut dem Pew Research Center scheiterten 2016 vier Prozent der Menschen, die eigentlich wählen wollten, an den Auflagen. Damals setzte sich Trump gegen Hillary Clinton durch.