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USA-Ukraine-Russland Mit der Pistole auf der Brust lässt sich nicht verhandeln

Die Ost-West-Gespräche über die Ukraine sind festgefahren. Für Ex-OSZE-Generalsekretär Thomas Greminger ist klar, auch die grundsätzlichen Fragen müssten zur Sprache kommen.

Die meisten Kommentare über die Ost-West Krisengespräch in Genf, Brüssel und Wien sind pessimistisch bis vernichtend. Viel diskutiert, nichts erreicht, so der Tenor. Zumal Russland jetzt ankündigt, man wolle diese Gespräche gar nicht mehr weiterführen. Der ehemalige OSZE-Generalsekretär und heutige Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, Thomas Greminger, nimmt das nicht zum Nennwert.

Thomas Greminger

Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik

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Thomas Greminger ist ein Schweizer Diplomat. Von 2004 bis 2010 leitete er die Abteilung für menschliche Sicherheit im Eidgenössischen Aussendepartement. Anschliessend war er von 2017 bis 2020 Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und führte Verhandlungen im Ukraine-Konflikt. Seit Mai 2021 ist er Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. Er ist Generalstabsoffizier der Schweizer Armee (Oberstleutnant).

«Vieles ist natürlich auch politisches Taktieren. Viele Botschaften, die sie in den letzten Tagen gehört haben, sendet man primär auch aus, um Eindruck zu machen und natürlich, um auch Botschaften an sein Heimpublikum zu senden.» Das Gesprächsklima in den Verhandlungsräumen sei gar nicht so schlecht. Zumindest sei das der Eindruck, den Greminger gewonnen habe.

Da wird es sehr, sehr viel Arbeit brauchen und sehr viel Geld und Diplomatie, um hier zu Durchbrüchen zu gelangen.
Autor: Thomas Greminger

Er ist überzeugt, der Dialog werde fortgesetzt, doch mit einem raschen Durchbruch rechnet er nicht: «Da wird es sehr, sehr viel Arbeit brauchen und sehr viel Geld und Diplomatie, um hier zu Durchbrüchen zu gelangen.»

Luftaufnahme von Truppenverbänden.
Legende: Der Stein des Anstosses: Russische Truppen an der Grenze zur Ukraine. Keystone / Archiv

Eine Schlüsselrolle könnte und sollte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die OSZE, spielen, die Greminger selber vier Jahre lang geführt hat. Denn in der OSZE mit ihren 57 Mitgliedern sind alle betroffenen Staaten dabei.

«Die OSZE ist der exklusivste Rahmen, wo auch alle diese Staaten, wie die Ukraine, Belarus, Armenien, Aserbaidschan, Moldawien, Georgien – die sogenannten In-between-Staaten, die eben zwischen Russland und der Nato liegen – vertreten sind», erklärt Greminger. Die Organisation böte beste Voraussetzungen, um über die strittigen Themen zu verhandeln.

Was natürlich klar ist: Die Russen wollen eben auch über diese Garantien diskutieren und da sind die Amerikaner sehr viel zurückhaltender.
Autor: Thomas Greminger

«In der OSZE könnte man insbesondere Massnahmen der militärischen Risikominderung diskutieren, also Fragen der Transparenz von Grossmanövern, aber durchaus auch Massnahmen zur Reduktion von Truppen, gewissen Waffensystemen in den Grenzzonen», sagt Greminger.

Nato darf kein Tabu sein

Bloss: Während die USA nun anbieten, genau über diese Punkte zu reden, zeigt Russland daran momentan wenig Interesse. Moskau fordert vielmehr einen Verzicht auf jegliche Nato-Erweiterung und einen Rückzug von Nato- Streitkräften. «Was natürlich klar ist: Die Russen wollen eben auch über diese Garantien diskutieren, und da sind die Amerikaner sehr viel zurückhaltender», so der frühere OSZE-Chef.

Greminger ist sich sicher: Die USA und der Westen kämen trotz ihrer aktuellen Weigerung nicht darum herum, über die Nato-Erweiterungs-Frage zumindest zu verhandeln. «Ich denke aber nicht, dass es ein formelles Veto geben kann gegenüber dem Nato- oder dem EU-Beitritt eines Landes.» Greminger hält gerade eine relativ rasche, wenn auch nur punktuelle Deeskalation mit konkreten ersten Schritten für möglich, vorausgesetzt, man sei bereit, auch über die grundsätzlichen Fragen zu diskutieren.

Deutlich weniger dramatisch als manche anderen Beobachter sieht Greminger schliesslich die Sorge, dass nun ein baldiger russischer Einmarsch in die Ukraine droht: «Keine der Seiten hat ein Interesse an einer weiteren Eskalation. Die Kosten, die wirtschaftlichen, die politischen, die militärischen, wären zu gross.»

Am Zug ist nun Russland

Kurzfristig sei das Risiko nicht so riesig. Nichtsdestotrotz sei es wichtig, dass jetzt deeskaliert wird, weil man ja nicht mit der Pistole auf der Brust verhandeln könne.

Am Zug wäre also Russland, das mit einem teilweisen Truppenrückzug von der ukrainischen Grenze ein positives Signal aussenden könnte. Gleichzeitig müssten die USA und die Nato bereit sein, Russlands Hauptsorgen ernst zu nehmen und darüber zu sprechen.

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