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USA wollen schwaches Russland Die Rückkehr der Supermacht USA

Es ist schon manche Politikerin und mancher Politiker mit dem Zug nach Kiew gefahren. Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission. Boris Johnson, der britische Premierminister. Oder die Präsidenten Polens, Estlands, Lettlands und Litauens. Und es sind auch ein paar (noch?) nicht gefahren: Deutschlands Kanzler Scholz etwa, oder Frankreichs Präsident, Macron.

Auch US-Präsident Biden reiste nicht selbst nach Kiew. Obwohl er persönlich durchaus bereit gewesen schien, wie seine Pressechefin Jen Psaki jüngst durchblicken liess. Doch die Amerikaner schickten lieber Aussenminister Blinken und Verteidigungsminister Austin. Und doch war dies die bisher wichtigste Reise ausländischer Politiker nach Kiew. Denn was der Krieg in der Ukraine unter vielen anderen gewichtigen politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen und Verschiebungen gerade hervorbringt, ist die Wiederauferstehung der USA als Supermacht.

Eine gewagte Aussage

Wie die USA ihre Ziele und entsprechenden Erfolg definieren würden, wurden Blinken und Austin nach ihrer Reise nach Kiew gefragt. Der erste Teil von Verteidigungsminister Austins Antwort spiegelte noch die schon bekannte Haltung der USA wider: «Wir wollen, dass die Ukraine ein souveränes Land bleibt. Ein demokratisches Land, das fähig ist, sein souveränes Territorium zu schützen.»

Doch dann fügte Austin etwas hinzu, was zwar zuletzt immer offensichtlicher wurde, was die Amerikaner bislang aber nicht auszusprechen gewagt hatten. Austin sagte: «Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in der Ukraine nicht mehr in der Lage ist.»

Kampf auf allen Ebenen

US-Präsident Joe Biden sieht in dem Konflikt mit Russland (und China) den Grundkonflikt unserer Zeit. Er sieht ihn als Kampf zwischen freiheitlicher Demokratie und autoritärer Unfreiheit. Und die USA unter Präsident Biden sind gewillt und entschlossen, diesen Kampf anzunehmen und auszufechten. Und zwar auf allen Ebenen. Mit ihrem gewaltigen Arsenal an Waffen, natürlich. In der Ukraine wird gerade wieder einmal die durchgängige Abhängigkeit des Westens von der amerikanischen Rüstungsindustrie und die entsprechende amerikanische Machtstellung ersichtlich. Aber auch auf der wirtschaftlichen und finanzpolitischen Ebene. Der ehemalige Präsident der Schweizerischen Nationalbank, Philipp Hildebrand, sagte jüngst in einem bemerkenswerten Interview mit der Handelszeitung: «Die Art, wie die USA die Wirtschafts- und Finanzpolitik als Waffe verwenden, hat komplett neue Ausmasse erreicht.»

Für Europa sind das nicht nur gute Neuigkeiten. Denn die Vorstellung, dass Europa als dritter Machtfaktor in einem heraufziehenden neuen Kalten Krieg zwischen den USA und China eine Alternative anbieten könnte, ist vorerst dahin. US-Aussenminister Anthony Blinken hatte jedoch den Worten seines Kollegen Austin nichts beizufügen: «Er hat alles gesagt.»

Pascal Weber

USA-Korrespondent

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Pascal Weber arbeitet seit 1999 für SRF. Als Redaktor und Produzent war er zunächst in der Sportredaktion tätig, danach bei «10vor10». Von 2010 bis 2021 war er als Korrespondent im Nahen Osten. Er lebte zuerst in Tel Aviv, dann lange Jahre in Kairo und Beirut. Nun arbeitet er für SRF in Washington.

Tagesschau, 25.04.2022, 12:45 Uhr

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