Unter der US-Politik von Donald Trump kommen kleinere Staaten immer wieder unter die Räder – auch die Schweiz. Der Historiker Joseph de Weck sagt: Die US-Zölle haben in der Schweiz eine Identitätskrise ausgelöst.
SRF News: Die Schweiz hat lange erfolgreich zwischen den Grossmächten bestanden. Warum ändert sich das unter Trump?
Joseph de Weck: Trump sieht Handelsdefizite als Problem und Zölle als Lösung für fast alles – von Verschuldung über Deindustrialisierung bis zur Opioid-Krise. Die Schweiz exportiert viel und hat einen Überschuss mit den USA. Sie ist damit Opfer der Statistik geworden.
Trumps Zölle haben eine Schweizer Identitätskrise ausgelöst, schreiben Sie im Guardian – inwiefern?
Die Zölle stellen unser Aussenhandelsmodell in Frage. Die USA machen rund 20 Prozent der Exporte aus. Der Markt schliesst sich nun. Asien macht ebenfalls 20 Prozent aus. Doch die Zahlen sind rückläufig. Als einzig bedeutender Wachstumsmarkt bleibt mit etwa 55 Prozent Europa. Wir müssen uns also gegenüber Europa neu positionieren.
In der heutigen Welt wird das Solofahren zu einem wirtschaftspolitischen Nachteil.
Die Schweiz sei opportunistisch, sagen Sie. Sind das nicht alle Länder?
Jede Regierung verfolgt ihre nationalen Interessen. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg erkannten viele Europäer, dass es im Eigeninteresse liegt, wenn es auch den Nachbarn gut geht – so entstand die EU. Die Schweiz hat aus der Geschichte dagegen die Lehre gezogen, dass man besser solo unterwegs ist. Doch in der heutigen Welt wird das Solofahren zu einem wirtschaftspolitischen Nachteil.
«Wirtschaftspolitik ist nicht mehr nur Wohlstands-, sondern auch Sicherheitspolitik», sagten Sie gegenüber der NZZ. Trump vermische die Ebenen. Wie können kleine Staaten mithalten?
Es ist schwierig. Eine Eskalation mit den USA birgt grosse Risiken. Konzessionen – etwa Käufe von Energie, KI-Chips oder Waffen – machen uns noch erpressbarer und treiben uns immer mehr in die Abhängigkeit von den USA. Wenn wir klein beigeben, verlangt Trump immer mehr.
Was bleibt als Strategie?
Nicht eskalieren, nicht einknicken und stärker auf Europa setzen. Vorbilder sind Luxemburg und Irland, die als EU-Mitglieder schneller wachsen als die Schweiz.
Man müsste etwas anbieten. Aber das wäre ein kurzfristiger Pakt mit dem Teufel.
Wie sollen kleinere Staaten gegenüber Trump auftreten: Selbstbewusst oder schmeicheln?
Schmeicheln allein funktioniert nicht. Man müsste etwas anbieten. Aber das wäre ein kurzfristiger Pakt mit dem Teufel. Die EU hat das gemacht, da sie einen Deal mit Trump machen musste. Sie muss Trump in Sachen Ukraine und Sicherheitspolitik bei der Stange behalten. Müsste Brüssel nicht auf die Ukraine Rücksicht nehmen, wäre es mit Trump zu einer ähnlichen Konfrontation gekommen wie mit China. An Chinas hartem Auftreten sieht man: Trump gibt klein bei, wenn Gegendruck kommt.
Am Montag kam Wolodimir Selenski mit sechs Staatschefs plus EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und Nato-Chef Rutte nach Washington. Hat die Begleitung der Europäer etwas bei Donald Trump bewirkt?
Ja, es verschaffte ihm einen grossen Auftritt. Trump ist ein Narzisst, das hat der Befriedigung seiner psychologischen Komplexe gedient. Es war aber kein reines Händehalten der Europäer. Seit Anfang Jahr schultern sie die Hilfe für die Ukraine allein. Sie haben Verantwortung übernommen – damit haben sie Mitspracherecht.
Das Gespräch führte Sofiya Miroshnyk.