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Vergiftung von Alexej Nawalny Tatort Tomsk: Wachen vor Nawalnys Hotelzimmer

Knapp sechs Wochen nach der Vergiftung von Alexej Nawalny deutet alles darauf hin, dass er im sibirischen Tomsk im Hotel vergiftet worden ist. SRF gelingt es in jenem Hotelzimmer Aufnahmen zu machen, in dem Nawalny übernachtete und in dem er vergiftet worden ist. Gegenüber Medien gibt die Hoteldirektion keinen Kommentar.

Erstes Interview nach Vergiftung

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Zum ersten Mal hat sich Alexej Nawalny nach seiner Vergiftung in einem Interview geäussert. Er schildert gegenüber dem «Spiegel», die Wirkung des Nervengiftes: «Du fühlst keinen Schmerz, aber du weisst, du stirbst. Und zwar jetzt sofort.»

Dass Nawalny den Giftangriff überlebt hat, ist einer Verkettung von Zufällen und dem Engagement seines Umfelds und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zu verdanken.

Für Nawalny steht ausser Frage, wer hinter dem Angriff steckt: «Ich behaupte, dass hinter der Tat Putin steht. Andere Versionen des Tathergangs habe ich nicht.» Diese Aussage Nawalnys im Interview mit dem «Spiegel» hat der Sprecher des Kremls als Beleidigung gegenüber Wladimir Putin bezeichnet. Unter anderem deswegen wolle man sich nicht dazu äussern.

Die Wirkung des Nervengiftes setzte nicht im Hotel ein, sondern während des Rückflugs nach Moskau. Als Nawalny nach Notlandung des Flugzeugs ins Krankenhaus gebracht wurde, informierte seine Pressesprecherin die Mitarbeiter, die noch im Hotel waren. Diese riefen den Anwalt Anton Timofejew zu Hilfe und gemeinsam sicherten sie Beweismaterial im Hotelzimmer Nawalnys, dass zu diesem Zeitpunkt noch nicht gereinigt worden war.

Wir haben nicht einen Augenblick nachgedacht, in welcher Gefahr wir uns befanden.
Autor: Anton Timofejew Mitarbeiter von Nawalny

Wachen vor dem Hotelzimmer

Im Interview mit SRF schildert Anton Timofejew, wie sie die Wasserflaschen im Zimmer von Nawalny gesammelt hätten: «Wir haben nicht einen Augenblick darüber nachgedacht, in welcher Gefahr wir uns befanden. Keine Sekunde.» Experten eines deutschen Labors fanden später an einer der Wasserflaschen Spuren eines russischen Nervengiftes. Hätten die Mitarbeiter die Flaschen im Zimmer nicht eingepackt, hätte man den Nervenkampfstoff «Nowitschok» nicht nachweisen können.

Was der Anwalt im Hotel miterlebte, liess ihn an einer unabhängigen Untersuchung zweifeln: «Später stellten sich Männer von der Sondereinheit ‹Rosgwardja› vor die Türe. Nicht Mitarbeiter der Spurenfahndung, die es in einem solchen Fall bräuchte. Sondern Männer mit Sturmgewehren, die man zur Bewachung des Zimmers vor Ort berief und die niemanden mehr ins Zimmer liessen.»

Teilerfolg für die Opposition

Überhaupt nach Tomsk gereist war Nawalny für eine Recherche über Korruption unter den Stadtbehörden und um seine Mitarbeiter im Wahlkampf zu unterstützen. Darunter die 28-jährige Ksenia Fadejewa. Die Wahlen des Stadtparlaments fanden knapp drei Wochen nach der Vergiftung statt.

Ksenia Fadejewa gewann gegen Putins Partei «Einiges Russland»: «Geändert hat sich nach der Vergiftung, dass viele sich unser Video über die Korruption in Tomsk angesehen haben und von uns gehört haben. Das zeigt sich auch an den Wahlresultaten.», erzählt die Tomskerin eine Woche nach ihrem Sieg.

Das Stadtparlament von Tomsk wurde zum ersten Parlament in Russland, in dem sich Mitarbeiter von Nawalny einen Sitz sichern konnten. Der grösste Sieg der Opposition liegt in der neuen Mehrheit im Parlament. 32 von 37 Sitzen kamen vor den Wahlen auf die Partei «Einiges Russland». Seit Mitte September hat Putins Partei noch 11 Sitze.

Absoluter Machtanspruch

Auch 3000 Kilometer von Moskau entfernt wird Konkurrenz nur auf dem Papier geduldet. Der Kreml will die Kontrolle von ganz unten bis oben im Staat. Das zeigt sich auch bei der laufenden Untersuchung zur Vergiftung. Offiziell liegt die Untersuchung bei einer lokalen Polizeistation, die sich üblicherweise mit kleinen Verbrechen wie Gepäckdiebstahl beschäftigt.

Das wirft Fragen auf bei Ksenja Fadejewa: «Als die junge Frau der Transportpolizei die Befragung durchführte, habe ich sie gefragt: Weswegen liegt der Fall bei Ihnen – das gehört doch nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich? Sie sagte, sie wisse es nicht – ein hoher Vorgesetzter habe ihr den Fall übergeben.»

Gegenüber SRF lehnen die Behörden in Tomsk Interviews ab. Vor Ort verstärkt sich der Eindruck, dass man im Kreml nicht wirklich an einer Aufklärung des Falles interessiert ist.

10vor10, 01.10.2020, 21:50 Uhr

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