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Verschärfte Corona-Massnahmen Virologin: «Österreich reagierte eindeutig zu spät»

Steht die Schweiz Mitte Dezember am selben Punkt wie Österreich, das seit Anfang Woche im vierten Lockdown ist und ab Februar eine allgemeine Impfpflicht angekündigt hat? Virologin Dorothee von Laer von der Universität Innsbruck sieht für Österreich keine Alternative mehr zur Impfpflicht, wenn das Land nicht in weitere Wellen und Lockdowns schlittern will. Der Schweiz mit ihrer eigenen Strategie rät sie aktuell, mit vollster Kraft zu boostern.

Dorothee von Laer

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Die deutsche Medizinerin und Virologen Dorothee von Laer ist seit 2010 Professorin am Lehrstuhl für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck und leitet das Institut für Virologie. Sie forscht zum Einsatz von Viren in der Krebstherapie sowie zur Gentherapie der HIV-Infektion. Sie gehört in der Corona-Pandemie zu den gewichtigen Stimmen der Wissenschaft in Österreich.

SRF News: Wie nehmen Sie die Stimmung in der österreichischen Bevölkerung wahr?

Dorothee von Laer: Es ist eine grosse Bandbreite von Erleichterung bis Unverständnis, wie die lautstarken Proteste der letzten Tage zeigen. Aber die grosse Mehrheit sieht wohl ein, dass mit der Lage auf den Intensivstationen etwas passieren musste, und ist erleichtert.

Der Lockdown soll die Trendwende bringen. Bereits ist aber von der Bildung von Triage-Teams die Rede. Ist die Lage noch zu retten?

Wichtige Wahleingriffe wurden bereits verschoben. Das ist bei Krebs nicht günstig, weil er weiter streuen kann. Wir sind je nach Spital sehr nahe oder an der Triage. Der Bremsweg bei einem Lockdown ist lang. Erst sinken die Inzidenzen, dann die Zahl der Intensivpatientinnen und -patienten. Ich rechne erst in der dritten und damit letzten Woche des Lockdowns mit etwas Entspannung auf den Intensivstationen.

Wir sind je nach Spital sehr nahe oder an der Triage.
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Am 13. Dezember soll der Lockdown frühestens enden. Wird das wieder ein schwieriger Entscheid?

Nein. Bei den Inzidenzen sollte man spätestens Anfang nächster Woche sehen, dass die Zahlen stagnieren oder zu fallen beginnen. Dazu gibt es den psychologischen Effekt, dass Menschen bereits vor einem angekündigten Lockdown vorsichtiger werden, wenn sich die Nachrichten von den Intensivstationen verdichten. Am Ende der dritten Woche dürfte klar sein, ob die Welle gebrochen ist.

Wie konnte die Lage in Österreich erneut so aus dem Ruder laufen?

Man war zu zögerlich mit den Massnahmen. Erst als die Zahlen immer weiter stiegen, versuchte man es man mit 3G am Arbeitsplatz und 2G für das übrige öffentliche Leben und dann mit einem Lockdown für Ungeimpfte. Das war eindeutig zu spät. Die Lage in Österreich ist vielleicht auch für das zeitlich etwas versetzte Deutschland und die Schweiz ein Zeichen, dass man nicht zuwarten sollte.

Die Lage in Österreich ist vielleicht auch für Deutschland und die Schweiz ein Zeichen, dass man nicht zuwarten sollte.
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Die Fallzahlen in Deutschland, der Schweiz und Österreich verliefen bis Mitte Oktober ziemlich parallel. Dann stiegen sie in Österreich massiv stärker. Gibt es dafür eine Erklärung?

Eine einzelne Ursache für diese Beschleunigung kann ich nicht nennen. Verschiedenes spielte wohl mit, etwa unterschiedliche Impfstoffe, aber auch die Entwicklung der Quoten bei Impfungen und Booster-Impfungen. Insgesamt kam aber in Österreich alles viel zu zögerlich.

Die Schweiz hat zudem schon relativ lang etwas andere Programme, womit ein Vergleich nicht möglich ist. Vielleicht haben die kostenpflichtigen Tests in der Schweiz die Menschen mehr animiert, sich impfen zu lassen. Auch wurde in der Schweiz Moderna deutlich häufiger verimpft, während Österreich am Anfang stark auf das etwas weniger lang schützende Astra-Zeneca setzte.

Die wissenschaftliche Taskforce in der Schweiz rechnet mit einer ähnlichen Entwicklung wie in Österreich. Was müsste man tun, wenn man schon jetzt eingreifen würde?

Wichtig ist, dass alle Geimpften rasch ihren dritten Stich bekommen. Damit haben sie in wenigen Tagen wieder volle Immunität. Das ist aktuell besser, als Ungeimpfte zu überzeugen, die erst in einigen Wochen immun wären. Trotzdem müssen sich möglichst viele impfen lassen, um weitere Wellen zu vermeiden. Israel hat bekanntlich mit dem dritten Stich die vierte Welle erfolgreich gebrochen, obwohl die Durchimpfungsrate auch nicht höher ist als in der Schweiz oder in Österreich.

Wichtig ist, dass alle Geimpften rasch ihren dritten Stich bekommen.
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Sie sprachen sich bereits im Sommer für eine Impfpflicht aus. Gibt es keine Alternative?

Nein. Wenn man die Menschen nicht auf anderem Weg überzeugen kann, ist es das einzige Mittel, um nochmals viele Corona-Tote zu verhindern. Denn lässt man zu, dass sich in kurzer Zeit noch viele Menschen infizieren, bricht das Gesundheitssystem zusammen. Das Ganze kann man zwar durch Lockdowns strecken. Doch dann kommen wir von einer Welle in den nächsten Lockdown in die nächste Welle – bis alle entweder geimpft, genesen oder unterwegs verstorben sind.

Haben Sie Verständnis dafür, dass neben der virologischen Sicht auch noch andere gesellschaftliche Überzeugungen vorhanden sind?

Ja. Aber die Menschen, die gegen eine Impfpflicht sind, müssen sich klar dafür aussprechen, dass wir nochmals 5000 bis 10'000 Corona-Opfer in Österreich haben wollen. Dass wir von Lockdown zu Lockdown stolpern oder die Spitäler über die Grenzen fahren und auch die Mortalität ausserhalb von Corona erhöhen.

Wenn die Mehrheit der Gesellschaft möchte, dass wir diese Opfer für eine impfunwillige Minderheit bringen, kann sie das demokratisch entscheiden. Ich denke aber, dass es diese Alternative zur Impfpflicht nicht mehr gibt. Diese Opfer kann die Mehrheit der Gesellschaft nicht mehr bringen.

Die Menschen, die gegen eine Impfpflicht sind, müssen sich klar dafür aussprechen, dass wir nochmals 5000 bis 10'000 Corona-Tote haben wollen.

Wie sind Ihre Prognosen für den Frühling?

Wir haben eine gute Chance, dass wir zumindest in Österreich mit der Impfpflicht und auch in vielen anderen Ländern der Welt bis zum Sommer das Virus zumindest so weit unter Kontrolle haben, dass es endemisch ist und nicht mehr so grosse Wellen hervorruft wie bisher.  

Das Gespräch führte Barbara Peter.

Tagesgespräch, 24.11.2021, 13:00 Uhr ; 

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