Für die französische Regierung ist die Einführung der Volksinitiative ein rotes Tuch. Ein Initiativrecht sei allenfalls in Gemeinden und Regionen möglich – aber nicht auf Landesebene, signalisierte Präsident Macron.
Was es bereits gibt ist eine Initiative, die von Parlament und Volk gemeinsam ausgeht: die RIP. Von einer Volksinitiative, wie sie die Schweiz kennt, ist diese aber weit entfernt. Beim «Referendum d’Initiative Partagée» kommt das Volk erst in zweiter Linie zum Zug.
Der RIP sei eine bizarre Prozedur, sagt Anne Levade, Präsidentin der Vereinigung französischer Verfassungsjuristen: «Es ist eine kuriose Vorstellung, dass Parlamentarier ein Gesetz ausarbeiten und dann bei den Bürgern über vier Millionen Unterschriften sammeln, damit ein Geschäft im Parlament auf die Tagesordnung und später zur Volksabstimmung kommt.»
Das sei vollkommen unverständlich für jeden, der nicht mindestens fünf Jahre Recht studiert habe. So ist es kaum Zufall, dass diese komplizierte Kombination von parlamentarischer Initiative und Unterschriftensammlung bisher noch nie zu einer Abstimmung geführt hat. In die Verfassung eingefügt hat sie 2008 Präsident Nicolas Sarkozy – weniger aus eigener Überzeugung als unter starkem öffentlichen Druck.
Le Pen forderte Abstimmung über Todesstrafe
Die komplizierten Regeln spiegeln das Misstrauen der politischen Elite Frankreichs gegenüber der direkten Demokratie, sagt Levade, die auch als Professorin Verfassungsrecht lehrt: «In Frankreich wecken Volksabstimmungen immer Befürchtungen.» Denn nach den bisherigen Erfahrungen stimme die Mehrheit weniger über die Abstimmungsfrage ab als über den Absender: «Das könnte sich ändern, aber es braucht dazu einen Lernprozess.»
Der Ruf nach Volksabstimmungen kam bisher meist von rechts. Von Marine Le Pen etwa, der Chefin des Rassemblement Nationale, die ankündigte, Abstimmungen über gesellschaftliche polarisierende Themen wie Migration oder die Einführung der Todesstrafe durchzuführen.
Inzwischen wird die Forderung nach mehr direkter Demokratie auch von den meisten anderen Oppositionsparteien unterstützt. Doch wenn das Parlament so klar von der Partei des Präsidenten dominiert wird, wie dies seit Ausrufung der Fünften Republik meist der Fall ist, bleibt die Opposition wirkungslos.
Levade hält eine Reform des bestehenden Initiativrechts trotzdem für den besten Weg: «Man müsste die Schwelle bei den Unterschriften senken, das Verfahren vereinfachen und genau sagen, was man will.» Das könnte eine Initiative sein, die vom Volk ausgeht, vom Verfassungsgericht geprüft und dann vom Parlament debattiert wird. Oder eine Referendumsabstimmung gegen einen Parlamentsbeschluss, die von der parlamentarischen Opposition ausgeht.
Macron hält Schlüssel in der Hand
Ein entscheidender Unterschied zum Initiativ- und Referendumsrecht der Schweiz: Das Parlament spielt in diesem Modell immer eine zentrale Rolle.
Dabei sollte es nach Meinung von Verfassungsjuristin Anne Levade bleiben: «Die Verknüpfung zwischen Parlament und Bürgern finde ich wünschenswert, weil so die direkte Demokratie nicht als Gegensatz zur parlamentarischen Demokratie eingesetzt wird. So könnten wir das Referendumsrecht praktikabel machen.»
In diese Richtung will auch Frankreichs Präsident Macron gehen und das RIP praktikabel machen. Von einem RIC, wie es die «Gilets Jaunes» verlangen, einem allgemeinen Initiativrecht für das Volk, hält er dagegen nichts. Das widerspreche der parlamentarischen Demokratie.
Er weiss nur zu genau, dass jede Initiative derzeit zu einer Volksabstimmung über seine Regierungsführung wird, die er nur verlieren kann.