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Wagner-Chef wohl tot Ob Anschlag oder Unfall: Prigoschins Tod stärkt «Rächer» Putin

Er ist mit seinen Kämpfern gegen Moskau marschiert, jetzt soll Jewgeni Prigoschin tot sein: Der Chef der Privatarmee Wagner ist offenbar bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. SRF-Korrespondent Calum MacKenzie ordnet die bisherigen Erkenntnisse ein. Und erklärt, welche Folgen der Tod des Milizenführers für das System Putin haben könnte.

Calum MacKenzie

Russland-Korrespondent

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Calum MacKenzie ist Russland-Korrespondent von Radio SRF. Er hat in Bern, Zürich und Moskau Osteuropa-Studien studiert.

Unfall oder Anschlag – was ist plausibler?

Die wenigsten Beobachterinnen und Beobachter gehen von einem Unfall aus. Vieles deutet darauf hin, dass das Flugzeug plötzlich und gewaltsam zum Absturz gebracht wurde. Derzeit wird diskutiert, ob das Flugzeug durch eine Bombe an Bord oder durch eine Rakete zerstört wurde. Das Flugzeug ist offenbar in sehr grosser Höhe vom Radar verschwunden und dann einigermassen intakt abgestürzt.

Das spricht eher dafür, dass ein Sprengsatz an Bord war. In den Trümmern gibt es allerdings Hinweise auf einen Raketeneinschlag. Menschen, die am Absturzort leben, sollen entsprechende Geräusche vernommen haben. Das alles ist noch nicht bestätigt. Bei einem Bombeneinsatz wäre die potenzielle Täterschaft sehr breit. Bei einer Rakete würde alles daraufhin hindeuten, dass das russische Militär dahintersteckt – womöglich auf Befehl des Kremls.

Waren Prigoschins Tage gezählt?

Ende Juni rief Prigoschin zum Aufstand gegen die russische Militärführung auf und rückte bis auf 200 Kilometer an Moskau heran. Er blies seinen Marsch auf die Hauptstadt plötzlich wieder ab. Vielen galt er seither als «Dead Man Walking» – als wandelnder Toter. Darin kann man sich nun bestätigt sehen. Ich war – wie viele andere – überrascht, dass es zunächst so aussah, als würde Prigoschin mehr oder weniger ungestraft davonkommen.

Prigoschins gescheiterter Marsch auf Moskau

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Prigoschin in Kampfmontur in Rostow am Don
Legende: Keystone/AP/Medienstelle von Prigoschin

Die Wagner-Gruppe unter der Führung von Jewgeni Prigoschin wagte am 23. Juni 2023 den bewaffneten Aufstand gegen die russische Armeespitze. Dabei übernahmen Wagner-Kämpfer die Kontrolle über die südrussische Stadt Rostow am Don und rückten dann auf Moskau vor. 200 Kilometer vor Moskau stoppte Prigoschin seine Truppen.

Putin bezeichnete dies als Verrat, der eine harte Reaktion nach sich ziehen werde. Der Aufstand wurde durch eine Vereinbarung beigelegt. Das russische Präsidialamt erklärte, Prigoschin und einige seiner Kämpfer würden nach Belarus gehen. Ein Strafverfahren gegen ihn wegen bewaffneter Meuterei werde fallengelassen.

SRF-Korrespondent Calum MacKenzie betont, dass Prigoschin wohl nie einen wirklichen Putsch gegen Putin geplant hatte. «Er wollte mit seinem Aufstand wohl eher Druck auf die Armee aufsetzen, damit seine Truppen nicht den regulären russischen Streitkräften einverleibt werden.» Schliesslich sei Prigoschin in eine Eskalationsspirale geraten – und habe auch gleich den ersten Ausweg genommen. «Ein eigentlicher Rivale von Putin war er also nicht. Für die Theorie, dass er vom Kreml getötet wurde, spricht aber, dass sich Putin einen solchen Affront nicht gefallen lassen konnte.»

Unabhängige russische Medien sprachen damals mit Kreml-Insidern. Diese konnten sich nicht erklären, warum Prigoschin noch am Leben war. Zur Erinnerung: Putin nannte Prigoschin einen Verräter – und gegen diese geht der Kreml meist mit aller Härte vor. Gleichzeitig wartet er oft auch den richtigen Moment ab. Auch Jahre später können Feinde noch ausgeschaltet werden. Im Fall von Prigoschin wird nun spekuliert, dass man ihn am Leben gelassen hat, bis die Zukunft seiner Unternehmen und der Wagner-Gruppe restlos geregelt war.

Was würde Prigoschins Tod für Putin bedeuten?

Kurzfristig würde das den russischen Präsidenten stärken. Es wurde Putin als Zeichen der Schwäche ausgelegt, dass Prigoschin ungeschoren davonkam und eine Abmachung mit ihm getroffen wurde. Nun ist er offenbar tot. Ob es ein Unfall war oder nicht, spielt letztlich keine Rolle: Viele Menschen in Russland werden davon ausgehen, dass sich Putin an Prigoschin gerächt hat. Das wird das Zeichen aussenden, dass Aufstände gegen ihn aussichtslos sind – und dass sie auch nicht ungestraft bleiben.

Wie geht es mit der Privatarmee Wagner weiter?

Durch den Flugzeugabsturz wurde sie sozusagen enthauptet. Prigoschin war für die Finanzierung und Organisation zuständig. Dmitri Uktin, der Gründer und militärische und spirituelle Anführer von Wagner, soll ebenfalls in dem Flugzeug gewesen sein. Die Tage von Wagner dürften damit gezählt sein. Falls die Kreml-Führung für den Flugzeugabsturz verantwortlich ist, hat sie den Zeitpunkt wohl gewählt, weil sie eine treue Nachfolge für Prigoschin gefunden hat. Wagner könnte nun der russischen Armee einverleibt werden und aufhören zu existieren. Die Kämpfer könnten wieder an die Front in der Ukraine geschickt werden – und ihre Auslandaktivitäten wie in Afrika zurückfahren.

SRF 4 News, 24.08.2023, 6:51 Uhr ; 

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