Es war das erste Mal, dass ein europäisches Land während der Pandemie Parlamentswahlen durchgeführt hat. Logisch deshalb, dass Corona den Wahlkampf dominierte. Aber der alte und neue Premier Mark Rutte hat der Seuche auch seine Wiederwahl zu verdanken. Ganz offensichtlich findet eine Mehrheit der gut 13 Millionen niederländischen Wahlberechtigten, dass er die Krise bisher gut gemanagt habe.
Grünliberale Partei überrascht
Noch in der Nacht kündete der joviale 54-Jährige an, rasch eine neue Regierung bilden zu wollen, um dafür zu sorgen, dass die vom Lockdown gebeutelten Sektoren endlich wieder geöffnet werden könnten. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Ruttes Volkspartei für Freiheit und Demokratie (VVD) hat einen Sitz zugelegt und kommt jetzt auf 34.
Die eigentliche Überraschung des Abends war jedoch das gute Abschneiden von Sigrid Kaag. Mit dieser Spitzenkandidatin haben die grünliberalen Demokraten66 (D66) fünf Sitze gewonnen. Die heutige Handels- und Entwicklungshilfe-Ministerin mit langjähriger UNO-Erfahrung warf Rutte während der Kampagne vor, eine visionslose Windfahne zu sein. Ihr Slogan lautete «eine neue Führung» – sie wollte ihn als Premier am liebsten ablösen. Soweit ist es nicht gekommen.
Regierungsbildung mit Stolpersteinen
Es liegt aber auf der Hand, dass Rutte versuchen wird, D66 ins Regierungsboot zu holen. Um die erforderliche Mehrheit zu erreichen, sind aber noch mindestens zwei weitere Parteien nötig. Eine Möglichkeit sind die bisher mitregierenden Christdemokraten (CDA). Allerdings musste diese Partei gestern herbe Verluste einstecken. Der etwas farblose Spitzenkandidat leistete sich zu viele Schnitzer.
Im dritten Kabinett von Rutte machte auch die ultrakonservative Christen-Union (CU) mit. Sie könnte auch diesmal helfen. Allerdings gibt es einen grossen Stolperstein. D66 will unbedingt ein neues Gesetz durch das Parlament bringen, das es betagten Menschen ermöglicht, den Freitod zu wählen, wenn sie ihr Leben als vollendet betrachten (in den Niederlanden ist Hilfe bei Suizid verboten). Einer solchen Regelung würde die strenge CU niemals zustimmen.
Auch die Sozialdemokraten, deren Sitzanzahl gleichgeblieben ist, kommen nicht in Frage. Die Genossinnen und Genossen ziehen es vor, auf der Oppositionsbank zu bleiben. Die Grünen und die Sozialisten, die während der Kampagne ankündigten, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen, kommen ebenso wenig in Frage: Beide haben massiv Sitze verloren.
Von den Rechtspopulisten will Rutte nichts wissen
Und beim andern Spektrum, wo sich jetzt drei rechtspopulistische Parteien mit 28 Sitzen tummeln, will Rutte gar nicht erst sondieren. Der Islam-Hasser Geert Wilders verlor ein paar Sitze an seinen schärfsten Kontrahenten Thierry Baudet vom Forum für Demokratie (FvD). Unter dem Motto «Wenn ihr mich wählt, sorge ich dafür, dass alle Corona-Massnahmen aufgehoben werden», konnte der FvD-Mann erstaunlich viele Mandate gewinnen. Eine Zusammenarbeit mit dem Rechtspopulisten hat Rutte im Wahlkampf kategorisch ausgeschlossen.
Vieles ist nach dem gestrigen Wahltag offen. Sicher ist eigentlich nur, dass es sehr knifflig wird, bis Ruttes vierte Regierung steht.