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Wahlen in Israel Helfen Netanjahu seine Erfolge?

In Israel sind die Parlamentswahlen angelaufen. Rund 6.6 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, die 120 Mitglieder der 24. Knesset in Jerusalem zu bestimmen. Dafür stehen landesweit 13'685 Wahllokale zur Verfügung. Wie die Wahlen ausgehen könnten, zeigen Arik Rudnitzky vom «Israel Democracy Institute» und die Korrespondentin Tal Schneider von der Zeitung «The Times of Israel» auf.

Arik Rudnitzky

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Dr. Rudnitzky forscht seit fast zwei Jahrzehnten am «Israel Democracy Institute» zu arabisch-jüdischen Beziehungen. Seine Fachgebiete umfassen politische, nationale und soziale Entwicklungen in der arabischen Gesellschaft Israels, jüdisch-arabische Beziehungen und die Regierungspolitik gegenüber Arabern in Israel. Rudnitzky hat einen Doktortitel von der Abteilung für Nahoststudien an der Bar-Ilan Universität sowie einen Abschluss in Geschichte des Nahen Ostens von der Fakultät für Geisteswissenschaften und einen Abschluss von der Fakultät für Management der Universität Tel Aviv.

Tal Schneider

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Die israelische Journalistin und Bloggerin ist politische Korrespondentin der israelischen Zeitung «The Times of Israel». Sie führt den politisch unabhängigen Blog «The Flug». Sie studierte Jura an der School of Management in Rishon LeZion und wurde 1998 als Anwältin zugelassen. Im Jahr 2001 schloss Tal Schneider ihr Studium der Politikwissenschaften und des Rechts an der Universität Tel Aviv ab. Danach zog sie in die Vereinigten Staaten, wo sie Journalismus an der Georgetown University und Fotojournalismus am Corcoran College in Washington studierte. Zwischen 2004 und 2009 war Tal Schneider Korrespondentin von Maariv in Washington.

SRF News: Israel gilt als Impf-Weltmeister, über die Hälfte der Israeli ist bereits gegen das Corona-Virus geimpft. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte im Wahlkampf immer wieder, dass er es war, der die Impfungen so rasch nach Israel geholt hat. Hilft ihm das, um im Amt zu bleiben?

Arik Rudnitzky: Ja, das ist extrem wichtig. Netanjahu wird in der Bevölkerung als erfahrener Ministerpräsident wahrgenommen. Seine Person ist vielleicht umstritten, aber niemand kann darüber hinwegsehen, was er erreicht hat; er hat die Impfungen nach Israel gebracht.

Tal Schneider: Man muss differenzieren: Netanjahu hat in der Tat eine erfolgreiche Impfkampagne organisiert. Dafür bekommt er viel Lob. Schlechte Noten erhält er jedoch dafür, wie er die Corona-Pandemie gemanagt hat. Wir hatten drei Lockdowns. Ein Grossteil der Schulen war fast ein Jahr lang geschlossen, die Arbeitslosigkeit ist hoch und die wirtschaftliche Situation schwierig. Netanjahu wird darum vorgeworfen, die Corona-Krise zu politisieren.

Arabische Israeli machen rund 20 Prozent der israelischen Bevölkerung aus. Im Wahlkampf hat Netanjahu versucht, bei ihnen zu punkten – früher hat er sie jeweils diffamiert. Gleichzeitig umgarnt Netanjahu extrem-rechte Politiker aus dem Bündnis «Religious Zionism», das anti-arabisch eingestellt ist. Wie kann das funktionieren?

Rudnitzky: Dass Netanjahu die arabischen Israeli umwirbt, ist eine reine politische Entscheidung. Netanjahu will seine Wählerbasis vergrössern – und verspricht immer mal wieder, dass er einen arabischen Israeli als Minister ernennen wird. Viele arabische Israeli können sich mittlerweile eine Kooperation mit der Regierung vorstellen. Im Gegenzug hoffen sie, dass die grossen Probleme in ihrer Gesellschaft angegangen werden, etwa die hohe Kriminalität oder die Infrastruktur.

Schneider: Wenn Netanjahu von einer Mehrheit spricht, spricht er von einer Mehrheit des rechten Blocks – ohne die arabischen Israeli. Dafür will Netanjahu mit extrem-rechten Politikern wie Itmar Ben Gvir vom Bündnis «Religious Zionism» zusammenarbeiten. Ben Gvir hat eine sehr schwierige Vorstellung davon, wie Israel mit seiner arabischen Minderheit umgehen soll: Er gilt etwa als Anhänger eines Mannes, der 1994 unter muslimischen Arabern ein Massaker angerichtet hat.

Listen, die den Einzug in die Knesset schaffen könnten

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Eine Person sortiert aufgestapelte Wahlzettel.
Legende: Reuters

Das israelische Parlament hat 120 Sitze. Um ins Parlament einziehen zu können, muss eine Partei mindestens 3.25 Prozent aller Stimmen bekommen.

Likud Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Rechtskonservativ. Laut Umfragen kommt Likud auf 30 bis 32 Sitze.

Yesh Atid Mitte-Partei des ehemaligen TV-Moderators und Netanjahu-Herausforderers Yair Lapid. Yesh Atid war bei den drei letzten Wahlen Teil des Mitte-Bündnisses «Blau-Weiss». Zur Trennung kam es nach den Wahlen im März 2020, weil Lapid mit Netanjahu koalieren wollte. Umfragen prognostizieren, dass Yesh Atid 18 oder 19 Sitze holen wird.

Jamina Rechts, national-konservativ. Die Partei von Nafatli Bennett kommt laut Umfragen auf 9 bis 10 Sitze.

New Hope Die Partei wurde vom ehemaligen Likud-Mitglied Gideon Sa’ar im Dezember 2020 gegründet – wegen Differenzen mit Netanjahu. Sa’ar galt zuvor bereits länger als innerparteilicher Rivale Netanjahus. Laut Umfragen kommt New Hope auf 9 bis 10 Sitze.

United Tora Judaism + Shas Beide Parteien werden von Ultraorthodoxen gewählt und haben bisher Netanjahu unterstützt. Laut Umfragen kommen die beiden Parteien zusammen auf 15 Sitze.

Vereinigte Arabische Liste (Joint List) Liste mit drei arabischen Parteien. Bei den letzten Wahlen war eine vierte arabische Partei (Ra’am) ebenfalls Teil des Bündnisses. Laut Umfragen kommt die Vereinigte Arabische Liste auf 8 Sitze.

Yisrael Beiteinu Partei der Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Rechtsnationalistisch, aber nicht religiös. Vorsitzender ist Avigdor Lieberman. Laut Umfragen kommt die Partei auf 6 bis 7 Sitze.

Labor Arbeiterpartei unter der Führung von Merav Michaeli. Umfragen prognostizieren ihr 5 bis 6 Sitze im Parlament.

Religious Zionism Extrem-rechts, ultra-nationalistisch, anti-arabisch, kahanistisch (ultranational und religiös fundamentalistisch). Laut Umfragen könnte diese Liste auf 4 bis 5 Sitze kommen.

Blau-Weiss Bei den letzten drei Wahlen trat Blau-Weiss als Mitte-Bündnis an, bestehend aus drei Parteien. Nach den letzten Wahlen im März 2020 kam es jedoch zur Spaltung, jetzt besteht die Liste nur noch aus der Partei von Verteidigungsminister Benny Gantz. Laut Umfrage kommt die Partei auf 4 Sitze.

Meretz Linke Partei. Laut Umfragen kommt die Partei auf 4 Sitze.

Ra’am Auch UAL, United Arab List. Islamistische Partei. Tritt bei diesen Wahlen allein an (nicht mehr als Teil der Joint List). Laut Umfragen holt die Partei 4 Sitze.

Laut den Umfragen kann es sein, dass weder der Netanjahu- noch der Anti-Netanjahu-Block eine Mehrheit holen werden. Stehen in Israel schon bald die 5. Neuwahlen an?

Rudnitzky: Unter bestimmten Bedingungen könnte es 5. Neuwahlen geben. Alles hängt davon ab, wie die kleinen Parteien abschneiden werden, ob sie an der Sperrklausel von 3.25 Prozent scheitern und darum nicht in die Knesset einziehen können. So ist etwa unklar, ob Blau-Weiss – die Partei von [Netanjahus bisherigem Koalitionspartner – Anm. d. Red.] Benny Gantz – es ins Parlament schaffen wird. Auch die linke Partei Meretz könnte an der Sperrklausel scheitern, ebenso Netanjahus neue Freunde aus dem arabischen Lager, die Ra’am-Partei. Wenn die kleinen Parteien den Einzug in die Knesset schaffen, wird das die Zusammensetzung des Netanjahu- und des Anti-Netanjahu-Blocks verändern.

Schneider: Auch wenn es Netanjahu schaffen sollte, mit einer knappen Mehrheit von 61 oder 62 Stimmen eine Regierung zu bilden, wird das keine stabile Regierung sein. Gleiches gilt, wenn der Anti-Netanjahu-Block eine Regierung bilden sollte. Darum zeichnen sich bereits jetzt die nächsten Wahlen ab; das ist nur eine Frage der Zeit.

Vierter Anlauf innert zwei Jahren

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In Israel wird zum vierten Mal binnen zwei Jahren ein neues Parlament gewählt. Die bisherige Regierung unter Führung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu war im Dezember im Streit um den Haushalt zerbrochen. Der heute 71-Jährige war erstmals von 1996 bis 1999 Ministerpräsident und ist es erneut seit 2009 im Amt.

Die grossen TV-Sender Israels haben erste Prognosen für Dienstagabend 21.00 Uhr (MEZ) angekündigt. Die offiziellen Endergebnisse sind nach Angaben der Vorsitzenden des Zentralen Wahlkomitees nicht vor Freitag zu erwarten. Orly Adas von der Nachrichtenseite «ynet» sagte, man werde die Ergebnisse sehr gründlich prüfen. «All dies braucht Zeit, deswegen werden die Ergebnisse in der Nacht nur langsam einlaufen.» Man hoffe, dass man bis zum Morgen etwa 70 Prozent der Ergebnisse in den regulären Wahlstationen sehen könne. Das Endresultat hat sich in der Vergangenheit teils deutlich von den Prognosen unterschieden.

SRF 4 News, 23.03.21, 07:00 Uhr ; 

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