Wales, die Nation innerhalb des Vereinigten Königreichs, in der fast so viele Schafe wie Menschen leben, ist eher selten in den Schlagzeilen. Der politische Alltag verläuft in Unterschied zu Nordirland oder Schottland wenig dramatisch. Geprägt hat diese Politik in den vergangenen gut fünf Jahren First Minister Mark Drakeford von der Labour Party. Wales wurde nicht wie Nordirland von einem Bürgerkrieg erschüttert, und es gibt auch keine Unabhängigkeitswünsche wie in Schottland. Im Gegenteil, so Drakeford.
Die Mehrheit der Waliserinnen und Waliser sei immer noch überzeugt, dass die Mitgliedschaft im Vereinigten Königreich zweckmässig sei. Das könne sich aber rasch ändern, wenn die Leute diesen Zweck nicht mehr erkennen könnten. «Das Ganze ist am Ende ein Club aus vier Nationen: England, Wales, Schottland und Nordirland. Man muss den Leuten zeigen können, weshalb es Sinn ergibt, dabei zu sein. Was Wales aus London bekommt, hat in den vergangenen Jahren aber deutlich abgenommen. Die Randzonen des Königreichs fühlen sich vernachlässigt. Ich hoffe sehr, dass sich dies unter einer künftigen Labour-Regierung ändern würde», so der First Minister, der Regierungschef der Regierung von Wales.
Unser wichtigster Handelspartner war während 40 Jahren die Europäische Union. Völlig unnötig wurden mit dem Brexit Handelshemmnisse geschaffen.
Unter der konservativen Regierung sei England und London wieder zum Epizentrum der britischen Politik geworden. Gleich vier konservative Premierminister hat Mark Drakeford während seiner Amtszeit erlebt. Reden habe er mit allen können, meint er diplomatisch.
Die politische Schadensbilanz von Boris Johnson belaste Wales aber bis heute: «Der Brexit ist für Wales eine grosse Herausforderung. Industrie und Landwirtschaft sind in Wales wichtig. Unser wichtigster Handelspartner war während 40 Jahren die Europäische Union. Völlig unnötig wurden mit dem Brexit Handelshemmnisse geschaffen. Die Nachteile sind weit grösser als die Vorteile. Ich hoffe sehr, dass eine britische Regierung unter Labour diese Schäden minimieren kann.»
Überzeugter Republikaner
Der freundliche, grauhaarige Herr mit der weinroten Krawatte gehört zum linken Flügel der Labour-Partei. Drakeford kam vor 70 Jahren in der walisischen Provinz in einer Lehrerfamilie zur Welt. Politik und Machtstrukturen hätten ihn bereits als Jugendlichen interessiert. 14 Jahre alt sei er gewesen, als der heutige König Charles von seiner Mutter in einer pompösen Zeremonie zum Prince of Wales gekrönt worden sei. Er habe sich geweigert, daran teilzunehmen.
Bis heute sei er, wie die Schweizerinnen und Schweizer, überzeugter Republikaner. Die beiden Nationen verbinde übrigens viel miteinander. Wales und die Schweiz seien kleine Länder mit mehreren Sprachen, hätten eine lange Geschichte und eine alte Kultur – verbunden mit der gleichen Herausforderung: «Zu bewahren, was uns speziell und einzigartig macht, aber trotzdem nicht in eine rückwärtsgerichtete Nabelschau zu verfallen, sondern daraus das Selbstvertrauen zu gewinnen, sich mit dem Rest der Welt auseinanderzusetzen.»
Wales: Fast mehr Schafe als Menschen
Ende Woche zieht sich Drakeford nun aus der politischen Welt zurück. Sein Zeitpunkt seines Rücktrittes hat er strategisch geschickt gewählt: vor den britischen Wahlen in der zweiten Jahreshälfte. Auf diese Weise kann seine Nachfolge von der walisischen Labour-Partei bestimmt werden. Drakeford, der einst Latein studiert hat, will wieder vermehrt lesen und sich insbesondere seinem Garten, den Narzissen und dem Zwiebelgemüse widmen.