«Vor zwei Monaten verschwand der Menschenrechtsanwalt Tang Jitian», heisst es in der Weibo-Mitteilung der Schweizer Botschaft in Peking. Oder besser gesagt, hiess es. Denn die Weibo-Mitteilung der Schweizer Vertretung in China fiel kurze Zeit nach Veröffentlichung letzte Woche der chinesischen Zensur zum Opfer.
Menschenrechte sind in China ein heikles Thema, die Zensoren wollten offenbar ganz sicher sein und die Mitteilung ganz löschen. Doch so weit müssten die Zensoren nicht immer gehen, erklärt Fergus Ryan, Analyst bei der australischen Denkfabrik für Sicherheitspolitik Aspi. Peking habe nämlich eine ganze Reihe an Möglichkeiten: «Die Zensur muss nicht immer direkt und offensichtlich sein. Die Zensoren können einfach das Teilen des Posts oder die Kommentarfunktion deaktivieren. Oder sie machen sogenanntes ‹Shadow Banning›.» Dabei wird der Post nicht gelöscht, aber taucht nicht im Feed der anderen Nutzer auf. Nur, wer ihn aktiv sucht, kann ihn sehen. Damit wird die Reichweite stark eingeschränkt, ohne dass er direkt gelöscht wird.
Ryan hat sich in einer Studie mit dem Thema der sogenannten «Weibo-Diplomatie» befasst. So wird es genannt, wenn ausländische Diplomaten auf chinesischen sozialen Medien wie Weibo und WeChat ihre Standpunkte vertreten. Anders als chinesische Nutzerinnen und Nutzer hätten die Diplomaten etwas mehr Freiraum im chinesischen Internet. «Wenn eine politisch sensible Mitteilung von einem chinesischen Nutzer stammt, dann können die Zensoren diese ohne lange zu überlegen, schnell und einfach löschen. Bei ausländischen Vertretungen wird es komplizierter, weil es in den Bereich der Aussen- und Geopolitik gehen könnte.»
Für kritische Chinesinnen und Chinesen hilfreich
Und so können interessierte Nutzerinnen und Nutzer trotz Einschränkungen häufig direkte Informationen und Standpunkte ausländischer Staaten sehen. Davon Gebrauch macht zum Beispiel User An Zhuo, Mitte zwanzig, er arbeitet im Verkauf.
Als jemand, der in China geboren und aufgewachsen ist, erhalte ich eine einseitige Sicht der Dinge, von Wertvorstellungen. Sehr selten erfahren wir, was das Gegenüber wirklich denkt. Oft verharren wir einfach auf unserer Sichtweise, und weisen jene der anderen zurück.
An Zhuo heisst nicht wirklich so, zu seinem Schutz haben wir seinen Namen geändert. «Als jemand, der in China geboren und aufgewachsen ist, erhalte ich eine einseitige Sicht der Dinge, von Wertvorstellungen. Sehr selten erfahren wir, was das Gegenüber wirklich denkt, was. Oft verharren wir einfach auf unserer Sichtweise, und weisen jene der anderen zurück.»
Dank dieser Plattformen können andere Staaten immerhin direkt sagen, wie sie die Dinge sehen würden, sagt An Zhuo. Dass die Posts manchmal gelöscht oder eingeschränkt werden, kritisiert er: «Es ist wie: Ich darf reden, aber Du darfst nicht. Egal was Du sagen möchtest, ich verbiete es Dir.»
Vorteil für die Partei
Denn chinesische Diplomatinnen und Diplomaten dürfen ihrerseits auf Twitter relativ ungehindert ihre Meinungen für ein internationales Publikum absondern. Auch die Staats- und Parteimedien Chinas sind auf Twitter präsent und können dort ihre Regierungspropaganda verbreiten.
Es handelt sich um eine Informations-Asymmetrie. Die kommunistische Partei hat einen riesigen Vorteil.
Studienautor Ryan sagt: «Es ist ein Ungleichgewicht, es handelt sich um eine Informations-Asymmetrie. Die kommunistische Partei hat einen riesigen Vorteil.» Von westlichen Botschaften in China erwartet der Analyst, dass sie offen kommunizieren, wenn ihre Mitteilungen in den chinesischen sozialen Medien zensiert werden.
Eine Interviewanfrage zum zensierten Weibo-Post lehnte die Schweizer Botschaft ab, und antwortete stattdessen schriftlich, man sei sich der Zensur in den sozialen Medien durchaus bewusst. Von nun an werde man auf Twitter mitteilen, wenn ein Weibo-Post zensiert worden sei.