Russlands Präsident Wladimir Putin beschäftigt die Politik weltweit. Doch wie soll man mit Putin umgehen? Um Antworten zu finden, lohnt sich ein Blick zurück, sagt die Osteuropahistorikerin und Journalistin Katja Gloger. Sie hat die deutsche Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte untersucht.
SRF News: Kann man zusammenfassend sagen: Sehr lange haben in Deutschland sehr viele sehr vieles nicht wahrhaben wollen?
Es ist tatsächlich erstaunlich, dass es lange gedauert hat, bis sich Deutschland dieser «Putin'schen Realität» gewahr wurde. Spätestens nach der Annexion der Krim hätte man beginnen müssen, sich intensiver mit dem System Putin zu beschäftigen, mit seinen aussenpolitischen Zielen.
Als Putin im Dezember 1999 Präsident wurde, war Gerhard Schröder deutscher Kanzler in Berlin. Welches Bild machte man sich damals im Auswärtigen Amt von Putin?
Gerhard Schröder ist eigentlich angetreten mit dem Versprechen, eine neue Russlandpolitik zu machen, keine «Saunadiplomatie» wie sein Vorgänger Helmut Kohl, der ein kumpelhaften Verhältnis pflegte.
Putin gelang es, die Beziehung in Richtung Loyalität unter Männern zu steuern.
Doch schon nach der ersten Begegnung mit Putin änderte sich dies. Putin ist es gelungen, die Beziehung sehr schnell auf den Pfad Richtung Freundschaft, Richtung Loyalität unter Männern zu steuern.
Wie gelang es Präsident Putin, Kanzler Schröder so für sich einzunehmen?
Zeitzeugen erinnern sich, dass Putin gegenüber dem älteren Gerhard Schröder wie ein Lernender, wie ein Student aufgetreten ist. Jemand, der von dem erfahrenen Politiker wissen wollte, wie die Politik, wie das Leben an sich funktioniert. Das war die Rolle, die Wladimir Putin spielte.
2005 wurde Angela Merkel Bundeskanzlerin. Was hatte sie für einen Blick auf Putin?
Einen sehr viel illusionsloseren als Gerhard Schröder. Sie hegte jedoch lange die Hoffnung, dass sie Putin im steten Dialog von Schlimmerem abhalten könne.
Putin konnte davon ausgehen, dass am Ende die nackten Profitinteressen von Deutschland hoch zu gewichten sind.
Selbst nach der Annexion der Krim hielt sie am Bau der Pipeline Nord Stream 2 fest, welche die Abhängigkeit von russischem Gas zusätzlich erhöht hätte. Sie hoffte, dadurch den Minsker Friedensprozess zu retten und eine Vollinvasion in die Ukraine zu verhindern. Für Putin war das ein unglaublicher Triumph. Denn er konnte davon ausgehen, dass am Ende die Wirtschaftsinteressen, die nackten Profitinteressen von Deutschland, höher zu gewichten sind, als all das politische «Gerede», dass man um die Annexion der Krim gemacht hatte.
Was macht uns so sicher, dass die Strategie, auf Dialog zu setzen, falsch war?
Im Nachhinein ist man immer klüger. Es hat tatsächlich gute Argumente gegeben für das Handeln von Merkel.
Der hybride Krieg gegen Deutschland begann schon früh mit Hackerangriffen.
Auf der anderen Seite hat Putin keinerlei Hehl daraus gemacht, dass er bereit ist, Krieg gegen den Westen zu führen. Der hybride Krieg gegen Deutschland begann schon früh mit Hackerangriffen auf den Deutschen Bundestag oder mit Morden an Kreml-Kritikern. Man hätte also viel früher klarer und härter reagieren müssen. Etwa im Bereich der Cyberabwehr oder im Umgang mit russischen Geheimdienstagenten in Deutschland, die man einfach gewähren liess. Und man hätte die Abschreckung nicht vergessen, die Bundeswehr nicht kaputtsparen dürfen. Mit dieser Zeitenwende haben wir uns in Deutschland viel zu lange Zeit gelassen.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.