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Studie zur russischen Wirtschaft: Die Sanktionen setzen Putin laut Universität Yale sehr zu
Aus SRF 4 News vom 08.08.2022. Bild: Keystone/Mikhail Metzel (1. Juli 2022)
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Wirtschaftsstudie zu Russland «Putin spürt den Schmerz der Sanktionen, leugnet ihn aber»

Eine Untersuchung der US-Universität Yale zeigt, dass Russlands Wirtschaft durch die Sanktionen schwer in Mitleidenschaft gezogen wird. Über 1000 internationale Unternehmen haben sich seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine aus Russland zurückgezogen. Jeffrey Sonnenfeld ist der Autor dieser Studien und hat analysiert, was die Firmenabgänge und Sanktionen seit Kriegsbeginn bewirkt haben.

Jeffrey Sonnenfeld

Jeffrey Sonnenfeld

Professor der Universität Yale

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Sonnenfeld und sein Team an der Yale School of Management begannen kurz nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, Unternehmen zu analysieren, die ihre Geschäftsaktivitäten in Russland einstellten.

SRF News: Russland sagt, die Wirtschaft laufe trotz der weggezogenen Unternehmen weiterhin gut. Sie würden dem nicht zustimmen. Weshalb?

Jeffrey Sonnenfeld: Der Rückzug dieser Unternehmen ist eine ungewöhnlich einzigartige historische Tatsache. Es gibt viele Beispiele dafür, wie Sanktionen in der Vergangenheit funktioniert haben. In Verbindung mit staatlichen Sanktionen gibt es Unternehmen, die sich freiwillig zurückziehen. Meistens ist das aber nicht der Fall.

Wenn wir von der russischen Zahl ausgehen und die indirekt verbundenen Arbeitsplätze anschauen, dann haben wir es mit etwa 40 Prozent der Arbeitskräfte in Russland zu tun, die aufgrund des Rückzuges der Unternehmen nicht mehr beschäftigt sind.

Fast 1200 grosse multinationale Unternehmen haben sich aus Russland zurückgezogen. Das sind die offiziellen russischen Zahlen und Russland sagt weiter, davon betroffen seien 12 Prozent der direkten Arbeitsplätze im Land. Unsere Zahlen liegen weit darüber.

Der H&M in Moskau will seine Läden in Russland schliessen
Legende: Der H&M in Moskau will seine Läden in Russland schliessen. Es gab lange Warteschlangen für ein letztes Schnäppchen. Keystone-SDA/EPA Maxim Shipenkov

Wenn wir aber nur von der russischen Zahl ausgehen und die indirekt verbundenen Arbeitsplätze anschauen, dann haben wir es mit etwa 40 Prozent der Arbeitskräfte in Russland zu tun, die aufgrund des Rückzuges der Unternehmen nicht mehr beschäftigt sind. Das ist wirklich tiefgreifend.

Wie geht Wladimir Putin damit um und wie ist dies in Russland spürbar?

Er spürt natürlich diesen Schmerz, aber leugnet ihn. Die russischen Statistiken haben eine 30-jährige Glaubwürdigkeit zerstört. Es ist das erste Mal, dass die Behörden die Grundlagen der Statistiken zum Volkseinkommen zurückgehalten haben.

Ebenso Export- und Importzahlen, Öl und Gas, die monatliche Produktion, die Zahlen der Rohstoffbörse, Kapitalzuflüsse sowie -abflüsse und so weiter. Das sind alles Standardkennzahlen, die immer transparent berichtet wurden. Jetzt werden sie komplett geleugnet und das ist ziemlich niederschmetternd.

Deshalb haben Sie in Ihrer Studie auch von der russischen Wirtschaft geschrieben, die «katastrophal verkrüppelt» sei. Steht es denn wirklich so schlecht um die russische Wirtschaft?

Ja. Die Aufmerksamkeit war zudem gross, weil es so sehr dem Narrativ von Putins Propaganda widerspricht. Eine von vielen Unwahrheiten, die verbreitet worden sind, ist, dass Putin einfach die Gaslieferungen nach Europa einschränken und sich nach Asien orientieren kann. Tatsächlich aber muss Russland eigentlich sogar mehr Gas nach Europa verkaufen, als Europa effektiv benötigt.

Dass Russland das Gas einfach woanders hinschicken kann, stimmt nicht.

Europa bezog bislang 43 Prozent seines Gases aus Russland. Jetzt kaufen die Europäer bereits mehr davon aus den USA, aus Norwegen, Australien und Aserbaidschan. Dass die Russen das Gas einfach woanders hinschicken können, stimmt nicht. Es ist gasförmig und nicht Flüssiggas. Russland hat nur eine kleine Pipeline nach Asien, die nicht einmal zehn Prozent der Kapazitäten ausmacht.

Die Produktion des russischen Gaskonzerns Gazprom ist um 30 Prozent zurückgegangen, weil sie das Gas nicht mehr loswerden. Die russische Wirtschaft ist ausschliesslich von Rohstoffen angetrieben. Es ist wie eine altmodische Handelskolonie. Alles, was sie uns bringen, sind Getreide und Energie. Der Verlust des Gasgeschäftes ist für sie verheerend. Zudem sehen wir jetzt in Europa eine bemerkenswerte, mutige Entschlossenheit, den Gasverbrauch zu senken.

Der Ersatz des Gasmarkts in Europa ist für Russland fast nicht machbar, weil die Infrastruktur nach Asien wie etwa nach China fehlt?

Genau. Es ist eine Frage der Infrastruktur. Weitere Gründe sind, dass die Lebensqualität sowie die industrielle Produktion in Russland sinkt und dass es eine massive Arbeitslosigkeit gibt. Der Stadtpräsident von Moskau hat zugegeben, dass Hunderttausende schon auf der Strasse sind.

Es ergibt ein sehr düsteres Bild für Russland – trotz der Prahlerei Putins.

Die Arbeitslosenquote liegt vielleicht bei etwa 40 Prozent und die Inflation je nach Sektor zwischen 20 und 60 Prozent. Die Produktion ist in allen Bereichen rückläufig, egal, ob es sich um Haushaltsgeräte oder Porzellankeramik handelt. Wir sehen, dass sie Ersatzteile, die sie brauchen, von den ausländischen Lieferanten nicht mehr erhalten. Ganz zu schweigen von Luxus und Konsumgütern.

Die Einfuhren sind um die Hälfte zurückgegangen und China gleicht das nicht aus, denn auch diese Einfuhren nach Russland gingen zurück. Das ergibt ein sehr düsteres Bild für Russland – trotz der Prahlerei Putins.

Das Gespräch führte Silvan Zemp.

SRF 4 News, 08.08.2022, 06:00 Uhr;

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