In Syrien begann vor zehn Jahren alles voller Hoffnung. Die Protestbewegung des «Arabischen Frühlings» sollte auch in dem Vielvölkerstaat die politische Öffnung bringen. Doch es kam anders.
Das Regime Assad setzte auf Spaltung, der Krieg zerriss das Land, tötete Hunderttausende und machte Millionen zu Flüchtlingen. Zehn Jahre später ist die Not unbeschreiblich und die Mittel der Hilfsorganisationen reichen nirgends hin.
Adnan Hizam schildert den Alltag in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Er arbeitet für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und sieht, wie die Menschen in Damaskus versuchen, einen Schein von Normalität aufrechtzuerhalten. Und wie schwer es ihnen fällt.
Ein ausgezehrtes Land
«Vor den Bäckereien mit dem subventionierten Brot bilden sich lange Schlangen, ebenso an den Tankstellen», sagt Hizam. Manche Nahrungsmittel sind heute dreimal so teuer wie noch vor einem Jahr. Das Zentrum von Damaskus wurde von Kämpfen verschont, und doch sei die Not auch in der Hauptstadt an jeder Ecke greifbar.
IKRK-Chef Peter Maurer appelliert an die Welt
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Der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), der Schweizer Peter Maurer, klagte vergangene Woche, die humanitäre Lage in Syrien werde durch eine schwere Wirtschaftskrise verschärft. Die Corona-Pandemie komme noch obendrauf. Er befürchte, dass die internationale Gemeinschaft Syrien abschreibe. Zivilisten bezahlten den Preis für einen fehlenden politischen Durchbruch. «Wir brauchen eine politische Lösung für den Konflikt», mahnte Maurer. «Die Syrer können sich kein weiteres Jahr wie dieses leisten, geschweige denn weitere zehn Jahre.»
Ganze Landstriche im Norden und Osten Syriens entziehen sich noch der Kontrolle der Regierung, um sie wird sporadisch weitergekämpft. Dort ist das Leid besonders schlimm. Alle wichtigen Städte und ihr Umland sind in der Hand des Regimes, zum Teil seit Jahren wieder. Stabilität ist deswegen nicht eingekehrt.
«Syrien insgesamt steckt in einer schweren Krise», sagt der Sprecher des IKRK in Damaskus. Die Landeswährung zerfällt. Erst diese Woche stürzte sie auf ein neues Rekordtief ab. Das hat auch mit dem Kollaps des Bankensystems im benachbarten Libanon zu tun.
Syrien war davon abhängig. Auch liegt es selbst unter Sanktionen, leidet an hausgemachter Korruption und einem Konflikt, der das Land zum strategischen Spielball der Regionalmächte werden liess.
Corona verfestigt das Elend
Die Wirtschaftskrise bedroht Existenzen. Inzwischen hat die Hälfte der Bevölkerung keine Arbeit mehr. Über achtzig Prozent der Menschen sind auf Hilfe angewiesen. Schwer gezeichnet ist auch das Gesundheitswesen.
«Die Hälfte der Spitäler oder Krankenstationen funktionieren nicht oder nur teilweise», sagt Hizam. Und das mitten in der Coronakrise, welche die Not noch einmal vergrössert, die Bereitschaft vieler Staaten zur Hilfe im Ausland aber senkt.
Doch die Staatengemeinschaft dürfe nicht wegschauen. Die syrische Bevölkerung brauche dringend Unterstützung, so der IKRK-Vertreter. Seine Hilfsorganisation legt zugleich eine Studie vor, die verdeutlicht, wie tief zehn Jahre Krieg die syrische Gesellschaft zerrissen haben.
Von den in Syrien befragten Jugendlichen gibt die Hälfte an, sie hätten im Krieg einen Angehörigen oder engen Freund verloren. Ebenso viele sagen, sie seien gezwungen gewesen, ihr Haus zu verlassen. Der Krieg machte zwölf Millionen Syrerinnen und Syrer zu Flüchtlingen, versprengt innerhalb Syriens oder in Nachbarländer und die halbe Welt.
Die meisten haben ihre Heimat seit Jahren nicht mehr gesehen und ebenso lange viele Familienmitglieder nicht mehr in die Arme geschlossen. Nicht nur materiell, auch psychisch seien die Schäden des Kriegs enorm, so Adnan Hizam vom IKRK.
«Für Träume und Hoffnung ist kein Platz»
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Die Nahostexpertin und Journalistin Kristin Helberg lebte vor Ausbruch des Kriegs in Damaskus, der Hauptstadt Syriens. Auch sie bestätigt: Die syrische Bevölkerung ist zutiefst zerrissen. Je nach dem, wo die Syrer den Krieg erlebt haben, seien verschiedene Narrative entstanden: «Wer an der türkisch-syrischen Grenze in einem zugigen Zelt sitzt, weiss nicht, wie er seine Kinder ernähren soll. Wer in den vom Regime kontrollierten Gebieten lebt, steht stundenlang für Brot an und hat Angst, von den Geheimdiensten verhaftet zu werden.»
In den kurdisch verwalteten Gebieten im Nordosten des Landes wiederum herrsche grosse Angst vor einer weiteren türkischen Militärintervention. Und auch in den Nachbarländern leben die Menschen oft unter prekären Bedingungen. Im Libanon habe kaum jemand offizielle Papiere, die Menschen würden schamlos ausgebeutet, sagt Helberg. «Und auch in der Türkei schlägt die einstige Sympathie der Bevölkerung zunehmend in Abneigung um. Das heisst, die Syrerinnen und Syrer sind nirgendwo mehr willkommen.»
Zuletzt seien auch die über eine Million Kriegsflüchtlinge in Europa damit beschäftigt, anzukommen und sich zu integrieren. «Für Träume oder die Hoffnung auf ein demokratisches Syrien, in dem man in Würde leben könnte, ist kein Platz», resümiert die Syrien-Expertin nach zehn Jahren Krieg. «Für die allermeisten Menschen herrscht grosse Enttäuschung und Verbitterung.»
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